Sofern es meine Zeit erlaubt - und zum Schreiben herrscht akuter Zeitmangel - tippe ich an dieser Story, die geplant ist als Kurzroman mit rund 100 Seiten.
Zum Reinlesen bei bookrix verfügbar oder eben hier das erste Stück, zwei Kapitel, für euch:
Ein neuer Gefangener
„Jetzt mach schon!“, drängte
Silver.
„Ich
bin ja schon startklar“, erwiderte Vic und steckte sich die Dolche an den
Gürtel. Kurz darauf verließen sie den Raum, der ihnen während der Einsatzphasen
als Unterkunft diente. Auf dem Weg nach draußen band Vic ihre langen Haare zu
einem Zopf zusammen. In solchen Momenten beneidete sie Silver um die
Kurzhaarfrisur, die sie zwar männlicher wirken ließ, aber ihren Sex-Appeal noch
unterstrich und draußen ungemein praktisch war.
Kaum
hatten sie die Zwischentür passiert, schlossen sich Amber und Cat an.
„Wisst
ihr schon etwas Genaues?“
Vic
sah zu Amber und zuckte mit der Schulter. „Nicht wirklich. Es hieß, es treiben
sich mal wieder Wilde am Rand des Territoriums rum.“
Cat
schnaubte. „Immer dasselbe mit denen. Schleichen sich an und glauben, hier ins
gemachte Nest krabbeln zu können.“
„Klingt
aufregend!“ Silver verdrehte die Augen. Ihr schien die beinahe immer gleiche
Arbeit der Animal Soldiers zu eintönig zu sein.
„Beschwer
dich nicht, sonst versetzen sie dich noch zum medizinischen Zentrum, da geht es
heftiger zu, als bei uns hier draußen“, erwiderte Cat.
Silver
kam nicht mehr dazu, noch etwas zu erwidern, denn sie erreichten die Tür, die
auf den Hof führte. Colonel Bob Trapper – von allen nur Wolf genannt –
erwartete sie bereits.
„Soldiers“,
er nickte ihnen kurz zu. Die vier Frauen erwiderten die grüßende Geste. „Zwei
Überwachungssensoren haben angeschlagen. Es ist das vierte Mal in dieser Woche,
dass die Wilden versuchen, in unser Gebiet einzudringen. Kümmert euch darum …
und wenn es geht, bringt eine dieser Kreaturen
mit.“ Er spie das Wort förmlich aus und Vic wusste so gut wie jeder andere, was
der Colonel von den Wilden hielt.
Nichts.
Für
ihn waren sie nur eine abartige Form der genetischen Mutation, die vor Jahren
dafür gesorgt hatte, dass die menschliche Rasse so gut wie ausgelöscht war. Es
gab nur noch die ‚Animalis‘ – Mischwesen, deren Sicherheit in den Händen der
Animal Soldiers lag, sofern sie sich innerhalb des Territoriums befanden und
offiziell zum Volk gehörten. Ihre Besonderheiten sah man auf den ersten Blick
nicht, man könnte sie alle für Menschen halten, wären da nicht die tierischen
Merkmale und Instinkte, die sie zu außergewöhnlichen Wesen machten.
„Wieder
ein nutzloses Verhör?“, wagte Cat zu fragen, was ihr einen strengen Blick vom
Wolf einbrachte. Sie neigte den Kopf und weil ihre rote Lockenpracht
hochgesteckt war, entblößte sie somit unterwürfig ihr Genick. Der Colonel
knurrte kurz, was bezeugte, dass er ihre Entschuldigung annahm.
„Ich
erwarte Meldung, sobald ihr etwas habt.“
Die
vier gaben ihre Bestätigung, worauf der Colonel sie entließ. Bis zur Grenze, an
der die Sensoren angebracht waren, brauchten sie nur wenige Minuten. Die
Landschaft war gespickt mit Sträuchern, Bäumen und Hecken. Das verhinderte zwar
eine gute Übersicht über den Grenzbereich, doch für die meisten Animalis war
das Grün lebenswichtig.
Vic
verließ sich auf ihre Sinne. Erschnupperte die Umgebung, erfühlte sie mit ihren
Härchen auf der Haut und betrachtete sie mit den Augen einer Raubkatze. Nichts
anderes steckte in ihr. Die Gene eines Pumas.
Schnell
konnte sie die Witterung aufnehmen. Ein kurzer Blick zu den anderen sagte ihr,
dass diese auch Spuren nachgingen. Vic hielt sich links, steuerte auf eine
kleine Baumgruppe zu, in deren Schatten Beerensträucher standen. Trotz dass die
süßen Früchte einen intensiven Duft verströmten, konnte Vic den Geruch des
Wilden deutlich darunter ausmachen. Würzig und schwer kroch er in ihre Nase. Gar
nicht unangenehm.
Beinahe
lautlos schlich sie über das Gras, näherte sich der Stelle, von der sie den
Duft am intensivsten wahrnahm. Sie zog ihren Dolch mit der rechten Hand,
während sie die linke ausstreckte, sprang und mit einem Satz im Gebüsch
landete. Einige Äste brachen, die Sohlen ihrer Stiefel gruben sich in den
weichen Erdboden. Nur einen Moment später hockte sie auf einem Wilden, ihr
Messer an seine Kehle gepresst. Sie fauchte und zeigte ihm die Zähne.
Sie
spürte seinen Körper unter sich vibrieren, ein Grollen steckte in seiner Brust,
doch er ließ es nicht heraus. Vic konnte sein Gesicht nicht sehen, denn er
hatte schützend die Hände davor geschlagen.
„Dass
ihr es auch immer wieder versucht“, zischte sie und drückte das Messer noch
fester an seinen Hals, ein kleines Rinnsal Blut lief an der Klinge entlang.
Der
Wilde nahm die Arme herunter und Vic blickte in ein markantes Gesicht und
bernsteinfarbene Augen, die sie bittend ansahen.
„Die
Betteltour zieht bei mir nicht.“
Er
schluckte und Vic lockerte gerade noch rechtzeitig den Druck der Klinge auf der
Haut. Durch die Schluckbewegung hätte er sich selbst den Hals aufschlitzen
können.
„Wenn
ihr euch nicht so abkapseln würdet, müssten wir nicht immer eindringen“,
verteidigte er sich.
Seine
Stimme hatte eine angenehme Klangfarbe. Nicht zu tief, weich und dennoch
männlich. Fast wie ein Schnurren.
Vic
verwarf den Gedanken und griff in ihre Gesäßtasche, wo sie die Bänder
aufbewahrte. Sie zog eines hervor und ließ es um die Handgelenke des Wilden
schnellen. Die elektronische Fessel setzte einen großen Teil seiner Instinkte
außer Kraft. Dass er sich nicht gewehrt hatte, wunderte sie.
„Du
kommst mit.“ Keine Bitte, ein Befehl.
Mit
einer einzigen geschmeidigen Bewegung sprang sie von ihm herunter und zog ihn
gleichzeitig mit in die Höhe. Nun, wo er stand, überragte er sie fast um einen
Kopf. Seine Schultern waren breit und sie würde wetten, dass sie hinter ihm
verschwand. Allerdings würde ihm das nichts nützen. Sie war ausgebildet für
das, was sie tat. Und trotz ihrer schlanken, beinahe zierlichen Gestalt steckte
eine unbändige Kraft in ihr.
Vic
tastete ihn ab, konnte aber keine Waffen finden. Er trug nur einen ledernen
Beutel mit sich, der an seinem Gürtel hing. Vic riss ihn ab und schaute hinein.
„Flokibeeren?“
Fragend sah sie ihn an.
Er
presste die Lippen aufeinander und schien kein Interesse daran zu haben, ihr zu
antworten. Im Grunde war das auch überflüssig, die Beeren wuchsen nur innerhalb
ihres Gebietes und besaßen besondere Inhaltsstoffe, die wichtig für die
Animalis waren. Nur, was wollte der Wilde damit? Soweit sie wusste, waren die
gar nicht auf spezielle Nahrung angewiesen. Ihre tierischen Merkmale waren
stärker ausgebildet und viele ernährten sich von Fleisch. Die Bewohner des
abgegrenzten Territoriums nicht.
„Warum
stiehlst du unsere Früchte?“
Keine
Antwort.
„Was
wolltest du damit?“
Immer
noch nichts. Er presste die Lippen so fest zusammen, dass sie wie ein Strich
aussahen. Schade eigentlich. Er besaß einen schönen Mund.
*
Zehn
Minuten später schob Vic den Gefangenen in den Verhörraum und zwang ihn fast
auf den Stuhl vor dem Tisch. Er hatte kein Wort mehr gesagt und sich nur mitschleifen
lassen. Vic hätte zu gerne gewusst, was in seinem Kopf vorging. Er saß da und
starrte auf die abgegriffene Platte des Tisches.
Sie
umrundete ihn, betrachtete ihn von allen Seiten. Sein braunes Haar war kurz
gehalten, die Haut leicht gebräunt. Vic zog sich einen Stuhl herbei und setzte
sich rittlings darauf. Er starrte weiter auf das Holz, als wäre dort Weltbewegendes
zu sehen. Sie fragte sich, wann der Wolf auftauchen würde – sie hatte doch
gemeldet, dass sie einen Wilden einfangen konnte.
„Ich
bin Vic“, sagte sie unvermittelt und aus einem Gefühl heraus.
Langsam
hob der Fremde den Kopf, drehte ihn ihr zu. Er schnaubte und wandte sich wieder
dem Tisch zu.
„Na
schön, dann nicht. Wenn du beim Colonel ebenso gesprächig bist, wird das kein
angenehmer Tag für dich“, prophezeite sie ihm.
Als
hätte der nur darauf gewartet flog die Tür auf und betrat mit donnernden
Schritten den Raum. Vic stand auf und sah ihrem Boss entgegen.
„Wo
hast du ihn aufgegriffen?“
„Nahe
der Grenze zwischen Sträuchern.“
„Gut.
Danke – du kannst gehen.“
Vic
nickte dem Colonel zu, schielte noch einmal zu dem Gefangenen und verließ das
Zimmer. Auf dem Gang kam ihr Cat entgegen, die genüsslich in einen violetten
Apfel biss.
„Hab
gehört, du hast einen geschnappt. Ich hatte weniger Glück.“
„Tut
mir leid. Wer war es?“
„Eine
Halbstarke, ich vermute mit Reptiliengenen. Sie roch streng und war flink wie
eine Echse.“
„Silver
und Amber?“
„Weiß
nicht, hab sie noch nicht gesehen. Ich nehme an, sie sind noch draußen.“
Sie
hatten das Ende des Ganges erreicht als aus dem Verhörraum Gepolter und Schreie
erklangen. Vic sah über ihre Schulter, als Gebrüll und Wolfsgeheul folgten. Es
klang, als würden sich der Wilde und der Colonel mit ihren Stimmen messen wollen.
„Geh
schon mal vor“, wandte sie sich an Cat, „ich glaube, ich bleibe lieber in der
Nähe.“
„Okay.
Besser du als ich, du weißt ich hasse es, wenn der Wolf ausflippt.“
Vic
schenkte ihr ein Lächeln und lief zurück. Vor der Tür des Raumes stoppte sie.
Hätte sie die äußeren Merkmale ihres Tieres, würde sie sicherlich die Ohren
spitzen, so aber blieb es beim Lauschen.
„Lieber lasse ich mich
umbringen, als meine Leute zu verraten“, hörte sie den Gefangenen knurren.
„Du
wirst deine Meinung noch ändern, glaub mir!“, drohte der Wolf. Kurz darauf
wurde die Tür aufgerissen.
Vic
stockte. Der Gefangene blutete aus Mund und Nase, der Colonel trug eine
versteinerte Miene zur Schau.
„Bring
ihn runter und schließe ihn ein!“, befahl er an Vic gerichtet, die
Pflichtbewusst bejahte. Sie übernahm die gefesselten Hände des Gefangenen, der
Colonel rauschte mit stampfenden Schritten davon. Vic konnte seine Wut verstehen.
Bislang hatte nicht einer geplaudert. Jeder Wilde, den sie gefangen nahmen,
schwieg und verriet nichts über den Aufenthaltsort seiner Gruppe, ganz gleich
wie sehr er gefoltert wurde.
Vic
kam eine Idee. Es könnte funktionieren, doch dem Colonel dürfte sie davon
nichts erzählen. Vorerst nicht. Mit Gewalt waren sie nicht weit gekommen – wie
aber sähe es aus, wenn sie dem Fremden Freundlichkeit entgegen brachte?
Der
stolperte mehr hinter ihr her, als dass er lief. Vic ahnte, dass der Wolf
mehrere Stellen des Körpers mit Tritten und Schlägen bearbeitet hatte, als
offenkundig zu sehen waren.
Im
unteren Stock gab es drei Zellen. Die erste davon stieß Vic auf und dirigierte
den Wilden zu der Liege, die darin stand. Er ließ sich wie ein Sandsack darauf
fallen. Er schloss die Augen und Vic betrachtete ihn. Die Lippe war geschwollen
und auf dem linken Jochbein zeigte sich schon ein bläulicher Schatten. Er würde
Eis brauchen …
„Du
brauchst nicht da stehen zu bleiben. Ich verrate nichts.“ Er klang kalt und
abweisend, der schöne Klang seiner Stimme war verschwunden.
„Ich
warte nicht darauf, dass du was ausplauderst – darf ich mir deine Verletzungen
ansehen?“
Er
drehte den Kopf ein wenig und sah sie an. „Warum solltest du das tun?“
„Ich
gehöre zwar zu den Animal Soldiers, aber deshalb muss ich noch lange nicht
alles gut finden, was mein Boss anstellt“, versuchte sie sein Vertrauen zu
erwecken.
Er
nickte zaghaft. Vic trat näher und nahm die Nase und die verwundete Lippe in
Augenschein. Ja, ein Eisbeutel wäre eine gute Idee …
„Du
brauchst Eis und einen Waschlappen“, erklärte sie ihm.
„Da
wäre ich nicht drauf gekommen!“ Purer Sarkasmus.
„Hast
du sonst wo Schmerzen?“
„Nein“,
sagte er knapp und drehte den Kopf wieder weg.
„Ich
bin gleich wieder da.“
Er
brummte etwas Unverständliches. Vic ließ ihn auf der Liege zurück, verschloss
gewissenhaft die Tür und eilte die Treppe hinauf.
*
Sie
verstand sich nicht. Warum ging ihr der Kerl nicht aus dem Kopf? Sie hatte
schon einige Wilde eingefangen, aber noch keiner hat auch nur Ansatzweise ihr
Interesse geweckt. Was auch immer es war, sie hielt an ihrem Entschluss fest,
es mit Freundlichkeit zu versuchen. Und wenn sie erst sein Vertrauen gewonnen
hatte, würde er ihr auch verraten, warum die Wilden wiederholt die Grenze zum
Territorium überschritten.
Sie
tappten über die Motive schon fiel zu lange im Dunklen. Nur die Nahrung konnte
nicht der Grund sein. Angriffe gab es aber auch keine – nicht aufseiten der
Wilden. Nicht offensichtlich. Die vielen Verhöre, all die Folter der
Eingefangenen, hatten nichts gebracht.
Vic
griff zwei mittelgroße Eisbeutel und ein Tuch. Anschließend griff sie nach
einem Paket feuchter Einmalwaschlappen, die sie normalerweise zum Säubern von
Wunden verwendeten. Bei den Animal Soldiers. Nicht bei den Gefangenen. Ihr war
das jetzt egal. Der Zweck heiligte die Mittel, oder nicht?
Als
sie die Zelle wieder betrat, stockte sie kurz. Sie brachte sich jedoch so
schnell wieder unter Kontrolle, dass der Wilde nichts bemerkt hatte. Vic
schloss die Tür, erst dann sah er sie an. Er saß auf der Liege, nur in Jeans.
Sein Oberkörper war gut trainiert. Perfekt definierte Brustmuskeln, Schultern
und Oberarme kräftig. Leopardenfell bedeckte seinen Bauch, angefangen unterhalb
des Rippenbogens. Wo es endete, konnte sie nur vermuten – jedenfalls unter der
Gürtellinie. Er hielt sich die Seite, also hatte er doch mehr Schmerzen, als
zugegeben.
Moment.
Vor lauter Betrachten hatte sie einen wichtigen Punkt übersehen. Die Fessel!
„Wo
ist das Band?“, fragte sie.
Er
griff neben sich und hob es hoch. Entzweigerissen.
Vic
zog die Brauen nach oben. Langsam trat sie näher und überreichte ihm einen der
Eisbeutel.
„Danke“,
sagte er leise.
„Warum
hast du dich hierher schleppen lassen, wenn dieses Band dich gar nicht fesseln
kann?“
„Die
Antwort willst du nicht hören. Glaub mir.“ Er legte sich das Eis auf die Wange.
„Oh
doch, das will ich!“
Er
verschob den Beutel, um seine Lippe zu kühlen. Dabei schienen seine Augen zu
lachen.
„Spiel
keine Spielchen. Ich mag zwar nicht so aussehen, aber wenn ich will, liegst du
innerhalb Sekunden bewusstlos auf dem Boden.“
Er
schnaubte. Dann ließ er die Hand mit dem Eis sinken.
„Man
nennt mich Leo“, sagte er und hielt ihr die freie Hand hin.
Vic
starrte entgeistert darauf. Sollte sie einschlagen? Das konnte doch nicht sein
Ernst sein – eine Begrüßungsgeste war nun wirklich fehl am Platz.
„Das
Eis“, meinte er daraufhin und klang amüsiert.
„Hier“,
erwiderte sie und hielt ihm auch den zweiten Beutel hin. Wie hatte sie die
Geste nur so missverstehen können?
„Also
Leo. Warum bist du hier?“
Er
legte sich den Beutel an die offensichtlich schmerzende Seite und verzog dabei
das Gesicht.
„Wegen
dir.“
Vic
lachte laut auf. „Klar! Du kennst mich nicht und ich dich nicht. Was soll der
Blödsinn?“
„Nenn
es Blödsinn, wenn du willst …“ Der Blick aus seinen bernsteinfarbenen Augen
ging ihr durch und durch. Was lief hier ab?
„Als
du auf mir gesessen hast und ich dich angesehen habe, da war mir klar, dass du
alles mit mir machen kannst und ich mich nicht wehren könnte.“
Vic
verschränkte die Arme. „Sicher.“ Sie schüttelte den Kopf. Wollte er sie für
dumm verkaufen?
„Du
glaubst mir nicht. Ich sagte doch, du willst es nicht hören.“
„Fangen
wir mal von vorne an: Warum hast du unser Gebiet betreten … oder besser, was
wolltest du mit den Beeren?“
Keine
Antwort. Leo schob demonstrativ den Eisbeutel wieder an die Lippe.
Vic
hatte keine Lust auf Spielchen. „Ach, leck‘ mich doch!“, fluchte sie, warf die
Packung mit den Waschlappen auf die Liege und wandte sich der Tür zu.
„Liebend
gern“, erklang Leos Stimme in ihrem Rücken, deren Tonlage ihr einen Schauer
über die Haut jagte. Sie verließ beinahe fluchtartig die Zelle.
Ihr
Herz klopfte wild gegen ihre Rippen. Warum nur brachte sie dieser Mann so aus
der Fassung? Sonst besaß sie eine Selbstbeherrschung, an der sich jeder die
Zähne ausbiss. Leos rauchige Worte aber brachten ihr Herz zum Rasen und sorgten
dafür, dass ihre Gedanken in eine Richtung abdrifteten, die ihr nicht behagte.
Fast
schon bereute sie ihren Entschluss, doch feige aufgeben war noch nie ihr Ding,
daher würde sie es diesmal auch nicht.
Ein
Kurzbesuch der Küche reichte und Vic verließ diese mit einer Banane und einem
Salatteller. Beides nahm sie mit nach draußen, wo sie sich auf die Wiese setzte
und aß. Sie wollte jetzt noch nicht zu Silver aufs Zimmer. Zuerst musste sie
ihren Kopf frei bekommen, all das sortieren, was sie verwirrte.
Ein
Wilder!
Sie
konnte es nicht fassen. Von allen Kerlen musste ausgerechnet er der sein, der
etwas in ihr auslöste?
*
In
der Nacht wälzte sie sich unruhig im Bett herum. Silver schlief wie ein Stein,
worum Vic sie beneidete. Immer wenn sie die Augen schloss, hatte sie das Bild
von diesem Leo vor Augen, wie er auf der Liege saß, sich die Seite hielt. Sein
Fell, die schönen Augen, seine Stimme …
Vic
fluchte innerlich und stand auf. Nur mit Hotpants und Tanktop bekleidet verließ
sie das Zimmer. Zuerst lief sie nach draußen, nahm sich eine Zigarette aus der
Schachtel, die immer dort lag und lief an der Hausfront unruhig auf und ab. Ob
sie wollte oder nicht, es blieb nur eine Lösung für ihr Problem. Sie musste
herausfinden was an diesem Mann so besonders war. Und, warum er und die anderen
Wilden immer wieder einen Versuch wagten, das Gebiet unbemerkt zu betreten.
Vic
drückte die zur Hälfte gerauchte Zigarette in den Standascher und machte sich
auf den Weg nach unten. Die Zellentür besaß ein kleines Fenster und sie wollte
sehen, was dieser Leo machte. Schlief er oder war er so rastlos wie sie?
Bei
der Tür angekommen öffnete sie die kleine Luke so leise wie möglich. Sie wollte
ihn nicht wecken, sollte er schlafen. Kaum dass sie hineinsehen konnte, stockte
ihr der Atem. Leo lag auf der Liege, nackt. Im Mondlicht, das durch die
schmalen Fenster hineinfiel, sah sie deutlich das Leopardenfell, das sich bis
auf die Oberschenkel erstreckte. Einzig sein Geschlecht besaß kein Fell. Sie
schluckte. Der nackte Schwanz lag wie gebettet da und sie fraget sich, wie das
beachtliche Stück erst aussehen würde, wenn er steif wäre. Hitze schoss ihr in
den Schoß, was sie abermals schlucken ließ. Wie lange hatte sie bewusst keinen
Mann mehr begehrt? Es musste ewig her sein. Der wenige Sex, den sie hatte,
beschränkte sich auf schnelle Quickies mit ihrem ‚Kollegen‘ Maik. Nur zum
Abreagieren für sie beide. Nichts Ernstes, nicht mal eine echte Affaire.
Doch
jetzt, wo sie Leo so da liegen sah, spürte sie deutlich ein Verlangen in sich
aufsteigen, dass sie angesichts seiner Natur nicht haben dürfte. Mutierte Gene,
zu viele tierische Merkmale – ein Fleischfresser, kein Vegetarier, so wie sie.
Sie
kannte ihn nicht einmal! So etwas durfte sie nicht bei ihm empfinden. Mit
zitternden Fingern griff sie nach der Luke, wollte sie schließen, da sah sie,
wie seine Nasenflügel bebten. Als würde er eine Witterung aufnehmen …
„Ich
weiß, dass du da bist“, raunte er plötzlich.
Vor
Schreck entwich ihr ein kurzer Schrei. Sie fühlte sich ertappt, als hätte sie
etwas Verbotenes getan. Schnell fing sie sich wieder und reckte trotzig das
Kinn hoch.
„Ich
werde doch noch nachsehen dürfen, ob mein Gefangener in Ordnung ist.“
Er
setzte sich ruckartig auf und sah sie an. „So, so. Jetzt bin ich schon dein
Gefangener. Schön zu hören.“
Vic
verdrehte die Augen. So hatte das nicht rüberkommen sollen.
„Bilde
dir nur nichts ein“, erwiderte sie.
Er
lachte dezent. „Ich muss mir nichts einbilden. Ich weiß, dass dir gefällt, was
du siehst.“
„Ach,
der Herr denkt, er kann Gedanken lesen?“
„Nein.
Ich rieche es.“
Wie
dumm kann man sein! Vic hätte sich am liebsten selbst verflucht. Natürlich
konnte er riechen, dass ihre kurze Hose nass im Schritt war. Was musste er auch
so eine Wirkung auf sie haben und vor allem: Warum musste er nackt da liegen?
Alles oder nichts, dachte sie sich.
„Es
ist auch schwer zu bestreiten, dass du mit diesem Fell ziemlich heiß aussiehst.
Aber das hilft dir nicht, die Zelle zu verlassen, ohne dass wir Antworten
haben.“
„Es
stimmt also.“
„Was
stimmt?“
„Keiner
von euch hier hat Fell oder andere äußere Merkmale.“
Gut
kombiniert, das musste sie ihm lassen.
„Nein.
Jeder von uns hat einen reinen Genetikstamm.“
Leo
schnaubte. „Ach, und das macht euch zu was Besserem? Da irrst du dich Süße.“
Vic
fiel die Kinnlade runter. Wie hatte er sie gerade genannt?
„Sei
froh, dass ich hier draußen bin, sonst hätte ich dir dafür eine verpasst“,
begehrte sie auf. Sie sollte gehen, aber schleunigst.
Leo
stand auf und kam auf die Tür zu. Vic konnte ihren Blick nicht von ihm nehmen.
Als er dicht davor stand, legte er eine Hand an die Öffnung.
„Wenn
du hier drin wärst, würdest du ganz andere Sachen machen, statt mir eine
runterzuhauen.“
„Oh,
da ist aber jemand sehr von sich überzeugt!“, spottete sie.
Schneller,
als sie reagieren konnte, lag plötzlich seine Hand auf ihrer. Warm, ein
bisschen rau … dann fluteten Bilder ihren Kopf.
Sie
keuchte auf, als sie vor ihrem geistigen Auge vorüberzogen. Sie, mit Leo in der
Zelle. Sie lag auf der Liege, sein Kopf zwischen ihren Schenkeln. Ein neues.
Ihr Kopf über seiner Hüfte, ihre Locken fielen auf sein Fell. Noch eines. Sie
kniete auf der Liege und Leo nahm sie von hinten, seine Hände an ihrer Hüfte.
Sie konnte sein Gesicht sehen, die Lust und das Feuer in seinen Augen.
Ihr
entwich ungewollt ein Wimmern. Leo zog seine Hand weg, die Bilder verschwanden.
„Wenn
du wieder kommst, werden wir genau das tun, daran habe ich keinen Zweifel.“ Der
verheißungsvolle Klang seiner Stimme ließ sie erzittern. Sie hatte weiche Knie
und verachtete ihren Körper dafür, dass er so auf ihn reagierte. Ihre Brüste
spannten unter dem Top, zwischen ihren Schenkeln schien sich ein See bilden zu
wollen.
Er
drehte sich weg und schlenderte zurück zur Liege. Trotz des wenigen Lichts
konnte sie einen sehr guten Blick auf seinen knackigen Hintern werfen.
Wie
benommen schloss sie die Luke. Sie war nicht in der Lage, auch nur ein Wort zu
erwidern. Dieser Mann war nicht gut für sie …
Selbstbeherrschung
Nach
der nächtlichen Begegnung hatte Vic erst recht kein Auge mehr zugetan.
Entsprechend gerädert war sie am nächsten Morgen. Immer wieder geisterte ihr
die Szene an der Tür durch den Kopf. Es gab einige ‚Animalis‘, die durch eine
Berührung Bilder oder Gedanken übertragen konnten, aber dass der Wilde, Leo,
auch diese Fähigkeit besaß, erstaunte sie. Sein letztes Bild hatte zwar einen
Fehler enthalten – er konnte ja nicht wissen, dass fast ihr gesamter Rücken
tätowiert war – trotzdem wollte es ihr nicht aus dem Kopf gehen. Nun haderte
Vic mit sich, ob sie dem Colonel davon erzählen sollte. Aber … dann müsste sie
zugeben, dass sie in der Nacht nach dem Gefangenen gesehen hatte, grundlos. Sie
müsste ihm sagen, was der ihr gezeigt hatte und das war unmöglich! Vic hielt
sich weder für verklemmt noch für prüde, aber ihrem Vorgesetzten von den
Fantasien des Gefangenen zu erzählen, die ihre eigenen widerspiegelten, nein.
Frustriert
betrat sie das kleine Bad. Silver war vor ihr aufgestanden - Vic hatte so
getan, als schliefe sie noch – und nun lag ein nasses Duschtuch auf dem Boden
und die Badematte schwamm beinahe. Was stellte diese Frau nur immer im Bad an,
dass hinterher alles triefte?
Mit
dem Fuß schob sie alles Beiseite, legte ein Handtuch vor die Dusche und stieg
aus ihren Sachen. Über die Schulter warf sie einen kurzen Blick in den Spiegel
– der Puma auf ihrem Rücken, in Sprunghaltung, quer von der Hüfte bis zur
Schulter – schien sie anzufunkeln. Das Bild war so gut gemacht, sie hatte schon
oft den Eindruck gehabt, dass Tier würde sie tatsächlich ansehen.
Kopfschüttelnd
betrat sie die Dusche und hoffte, dass der Tag keine bösen Überraschungen
bereit hielt. Wenn ihre Schicht doch nur schon vorüber wäre …
Zwanzig
Minuten später trat Vic in den Besprechungsraum. Silver und Amber saßen bereits
am Tisch. Cat fehlte ebenso wie der Wolf. Dabei hatte Vic gedacht, sie wäre
schon zu spät dran.
„Du
siehst aus, als hättest du kein Auge zugetan“, sagte Amber ohne eine Begrüßung.
„Dir
auch einen guten Morgen“, erwiderte Vic und setzte sich, ohne Ambers Worte zu
kommentieren. Silver schenkte ihr einen fragenden Seitenblick, worauf sie nur
mit einer abwehrenden Geste reagierte. Keine Fragen!
Die
Tür öffnete sich und Cat trat herein. Ihre schlanke Gestalt war in eine
hautenge Lederhose und ein weißes Herrenunterhemd verpackt. Sie grinste von
einem Ohr bis zum anderen.
Doch
ehe sie sich zu ihrer überaus guten Laune äußern konnte, betrat der Wolf den
Raum. In seinem Schlepptau Dr. Kayne. Vic schwante Böses …
„Soldiers“,
grüßte der Colonel und nickte ihnen kurz zu. Die Analystin aus dem
Forschungszentrum, und Chefin desselben, setzte sich zu ihnen an den Tisch, erst danach
nahm der Wolf seinen Stuhl am Kopfende ein. Er räusperte sich.
„Dr.
Kayne hat einige Neuigkeiten, die für unsere Arbeit vielleicht relevant sind“,
begann er und forderte sie mit der Hand dazu auf, an seine Worte anzuknüpfen.
„Mit
ihren Kollegen habe ich bereits gesprochen. Wir haben durch die jüngsten
Testergebnisse Grund zur Annahme, dass die genetische Mutation der frei
lebenden Animalis gar keine solche ist. Es scheint viel mehr eine natürliche Weiterentwicklung
zu sein.“
Vic
sah, dass der Wolf die Augen verdrehte. Sie selbst allerdings war ganz Ohr.
Wenn das nicht eine interessante These war …
„Und
das bedeutet?“, hakte Silver nach.
Die
Analystin rutschte auf ihrem Stuhl herum, ihr war sichtlich unbehaglich zumute.
Sie schielte kurz zum Colonel, und schien sich dann einen Ruck zu geben.
„Wir
sollten sie nicht länger als unsere Feinde betrachten“, sagte sie schnell, als
wäre es verboten, diese Ansicht zu äußern.
„Aber
sie dringen hier ein, ohne dass wir je aus einem herausbekommen haben, warum
sie das tun!“ Der Wolf bemühte sich, seine Fassung zu wahren. Vic sah es ihm
deutlich an.
„Colonel,
Ihre Ansicht in allen Ehren, aber Sie sollten auch die Wahrscheinlichkeit in
Betracht ziehen, dass sie uns gar nichts tun wollen.“
Vic
wurde hellhörig. „Wie meinen Sie das?“
„Mir
wurde berichtet, dass der Wilde, der gestern gefangen wurde, Flokibeeren bei
sich hatte. Das untermauert meine Theorie, dass die Wilden auch Artgenossen
haben, die wie wir sind. Animalis, die kein Fleisch essen, sondern ihre
Nährstoffe aus vegetarischen Lebensmitteln beziehen. Und soweit wir wissen,
wächst außerhalb unsere Territoriums nicht viel, was nahrhaft genug …“
„Stop!
Ich habe genug von den hanebüchenen Theorien. Dr. Kayne, Sie wissen, ich
schätze Sie und Ihre Arbeit sowie die Ihrer Kollegen. Aber das geht zu weit.
Wir werden an unserer Arbeitsweise erst dann etwas ändern, wenn Sie uns beweisbare
Daten vorlegen können.“
„Warum
sind Sie nur so stur?“, erwiderte sie und reckte stolz das Kinn vor. Wie es
aussah, wollte sie vor dem Colonel nicht katzbuckeln.
„Bringen
Sie eindeutige Belege vor, dann lasse ich mit mir reden. Und kommen Sie mir ja
nicht noch einmal damit, dass sie bahnbrechende Ergebnisse hätten … es sind Mutanten!“
*
Vic
befand sich auf ihrem Kontrollrundgang. Ihr wollten die Worte der Analystin
nicht aus dem Kopf. Wenn es wahr wäre, die Wilden nur eine natürliche
Entwicklung durchgemacht hätten und manche von ihnen auf ihre Früchte
angewiesen waren … es wäre wohl das aus für das Territorium. Das Ende des
behüteten Lebens aller, die hier beschützt in einer großen Gemeinschaft lebten.
Vic war in das System hineingeboren worden. In die Fußstapfen ihres Vaters zu
treten war schon früh ihr Wunsch, den sie schließlich auch wahr gemacht hatte.
In Viererteams waren sie unterwegs, alle in einem ihnen zugeteilten Grenzstück.
Sie schützten die fast zehntausend Animalis, die auf dem riesigen Areal eine
neue Stadt aufgezogen hatten, nachdem die Genexperimente aus dem Ruder gelaufen
waren und die Welt in ihren Strukturen geändert hatten.
Während
sie die unsichtbare Grenze abschritt und die Lasersensoren auf ihre Funktion
prüfte, dachte sie an Leo. Hatte er die Beeren vielleicht für ein Mitglied
seiner Gruppe haben wollen? Oder gar für sich selbst? Was war mit all den
anderen, die versuchten unerkannt einzudringen? Die meisten flohen, sobald sie
die Soldier zu Gesicht bekamen. Viele waren schon gefangen genommen worden.
Wenn die Theorie der Ärzte stimmte …
Alles
grübeln half nichts. Sie nahm sich vor, nach Dienstende Leo auf den Zahn zu
fühlen – und dabei all ihre Beherrschung einpacken, die sie besaß. Seine Bilder
würden nicht wahr werden! Das schwor sie sich und ihrem inneren Puma.
*
Kurz
nach Einbruch der Dämmerung legte Vic ihre Waffen in den dafür vorgesehen
Schrank. Sie wollte nicht angriffslustig wirken, wenn sie hinunterging um Leo
auszufragen. Hoffentlich gab er ihr die Antworten, die sie hören wollte.
Ihre
Arbeitskleidung, bestehend aus Cargohose und T-Shirt, ließ sie an – auch oder
gerade weil sie schmutzig waren. Die Sachen kaschierten ihre Figur und sie war
zuversichtlich, dass Leo gar nicht in Versuchung käme sie anzugraben.
Trotzdem
rumorte es in ihrem Bauch, als sie die Treppe hinunter lief. Ihre Instinkte
waren hellwach und kaum dass sie den Flur im Zellentrakt betrat, stieg die
Anspannung in ihr. Als würden ihre Nervenenden elektrisch stimuliert, prickelte
es auf ihrer Haut und in ihrem Inneren. Sie hatte Leo noch nicht mal erreicht
und schon stand ihr Körper unter Hochspannung. Sie verfluchte sich für ihre
Idee, ihn nochmals zu befragen.
Zähne
zusammenbeißen, lächeln, absolute Selbstbeherrschung aktivieren!
Vic
entriegelte die Tür und hatte sich wieder unter Kontrolle. Zumindest äußerlich.
Sie betrat den Raum und blickte Leo entgegen, als wäre nichts gewesen. Er
hockte im Schneidersitz auf dem Boden, eine Wasserflasche stand neben ihm.
Seine Augen funkelten, als er sie ansah.
„Wusste
ich doch, dass du wiederkommst …“
„Du
musst mir ein paar Fragen beantworten, nur darum bin ich hier.“
Er
verzog das Gesicht, als habe sie ihn geschlagen.
„Es
ist wichtig und ich habe den Verdacht, dass sich vieles ändern könnte. Also –
kommt ihr her, weil ihr Animalis in euren Gruppen habt, die kein Fleisch
vertragen?“
Er
verengte die Augen, musterte sie kritisch.
„Warum
sollte ich dir etwas über unsere Beweggründe verraten?“
Vic
verkniff sich ein Schnauben und hockte sich hin, damit sie mit ihm auf
Augenhöhe war.
„Weil
unsere … Forscher eine Theorie aufgestellt haben, die besagt, dass ihr nicht
eine mutierte Variante von uns seid, sondern eine natürliche
Weiterentwicklung.“ Die Erklärung kam ihr ohne schlechtes Gewissen über die
Lippen. Sie musste Pokern. Alles oder nichts. Und wenn sie ihm etwas verriet,
machte er vielleicht auch den Mund auf.
Leo
legte den Kopf schräg und schürzte die Lippen, als würde er überlegen. Das
Glitzern in seinen Augen verriet, dass er spielen wollte. Vic konnte schon
immer gut den Ausdruck bei anderen deuten.
„So,
denken sie das? Klingt interessant, eure These.“
„Stimmt
sie oder nicht?“
„Warum
bleibst du nicht hier drin und versuchst es herauszufinden?“ Er grinste
neckisch.
„Und
dann sehe ich etwas, das ich noch nicht gesehen habe? Das ist wohl kaum
möglich“, entgegnete sie locker. Innerlich war sie alles andere als das. Ihr
Herz klopfte wie verrückt und sie musste sich davon abhalten, diesen verlockenden
Mund vor ihren Augen zu küssen. Sein männlicher Duft machte sie zusätzlich
verrückt. Vic verfluchte ihre tierischen Eigenschaften nur äußerst selten, in
diesem Moment tat sie es.
„Oh
doch. Was glaubst du, bringen sie mir hier zu essen?“
„Obst,
Gemüse, Salat?“
Er
nickte bedächtig. „Es ist widerlich!“, entgegnete er und grinste so breit, dass
sie seine Zähne sehen konnte. Er besaß spitze Eckzähne wie ein Raubtier!
Vic
konnte nicht leugnen, dass sie das anmachte. Sie spielte hier mit einem Feuer,
das sie nicht mehr unter Kontrolle bringen könnte, wäre es einmal richtig
entfacht.
„Tut
mir Leid, aber Fleisch kann ich dir keins besorgen.“
Oh!
Sein Gesicht verriet, dass sie die falsche Wortwahl getroffen hatte.
„Ich
kann es aber dir besorgen“, entgegnete er mit rauer Stimme. Dieses Timbre ging
ihr erneut durch und durch. Seine Nasenflügel blähten sich auf und er verzog
den Mund zu einem siegessicheren Lächeln.
„Wisch
dir das Grinsen aus dem Gesicht“ forderte sie streng.
Er
lachte nur.
„Wenn
du mir nichts weiter zu sagen hast, kann ich ja auch gehen.“ Vic stand auf und
schlug sich gedanklich auf die Schulter, weil ihre Knie kein bisschen
zitterten. Kaum hatte sie sich aufgerichtet, sprang Leo mit einem Satz in die
Höhe. Er funkelte sie an. Sein Blick glich dem eines Raubtieres auf Beutejagd
und sie erschauderte.
Ihr
blieb überhaupt keine Zeit zu realisieren, was folgte. Innerhalb eines
Blinzelns stand er nah vor ihr, hatte ihr Gesicht umfasst und ihr seine Lippen
auf den Mund gedrückt. Vic glaubte, flüssiges Feuer flöße durch ihren Körper
und versetze ihren Schoß in Brand. Und das nur, weil er sie küsste?!
Sie
fühlte die Wärme seines Körpers und sog gierig seinen Duft ein. Als er seine
Zunge in ihren Mund drängte und auf ihre traf, schoss ein elektrischer Impuls
bis in ihren Schoß. Sie spürte, dass sich Nässe in ihrem Schritt sammelte und
sie konnte ein Keuchen nicht unterdrücken. Leos Küsse schmeckten so gut.
Seine
Hände gingen auf Wanderschaft, von ihrem Gesicht über die Schultern bis zu
ihrem Rücken. Fordernd drückte er sie an sich, während ihr Zungenspiel immer
intensiver wurde. Vic ertastete sogar die spitzen Eckzähne, was ihre Lust noch
weiter anfachte.
Es
war zu spät. Sie hatte verloren und war ihm erlegen. Sollte es ihr etwas
ausmachen? Nein, entschied sie mit dem Rest ihres Verstandes, der noch
arbeitete. Was sich so gut anfühlte, konnte nicht falsch sein.
Als
hätte er gespürt, dass sie sich ergab, löste er sich abrupt von ihr. Schwer
atmend sah sie ihn an. Vic konnte sein Verlangen so deutlich sehen, wie sie ihr
eigenes spürte. Warum hörte er auf? Hatte er nur beweisen wollen, dass er sie
bekommen könnte, so wie er es mit den Bildern vorhergesagt hatte? Vic
schluckte. Plötzlich kam sie sich unglaublich dumm vor.
Da
er nur dastand und sie ansah, ohne jegliche Regung, wallte Wut in ihr auf.
„Hast
du nun, was du wolltest? Musstest du dir selbst beweisen, dass du immer
bekommst, was du willst?“, fuhr sie ihn an.
Ein
leichtes Lächeln bildete sich um seine Lippen. „Ich habe noch gar nicht, was
ich will. Ich muss mich nur abkühlen, um noch einen klaren Gedanken fassen zu
können.“
Vic
schnaubte.
„Ich
möchte dir etwas erklären Vic. Ich bin kein Untier. Aber ich war vielleicht ein
bisschen zu bedrängend, denn du machst mich wahnsinnig, seit ich dich das erste
Mal gesehen habe.“
Sie
zog nur fragend die Braue nach oben und erwiderte nichts. Wenn er schon mal was
von sich aus sagte, unterbrach sie ihn lieber nicht.
„Es
ist Monate her und ich brauchte einen Plan, um in deine Nähe kommen zu können.“
„Was?“,
entfuhr es ihr dann doch.
„Ihr
hier drin, in eurem behüteten Nest, habt gar keine Ahnung von dem Leben da
draußen. Und ich wusste, wenn ich die Grenze überschreite, werde ich
festgenommen. Daher habe ich abgewartet, bis du Dienst hattest – ich habe eure
Einsatzpläne im Kopf – und wartete darauf, dass du kommst und mich schnappst.“
„Das
kann nicht dein Ernst sein. Das klingt so an den Haaren herbeigezogen …“
„Deshalb
ist es nicht weniger wahr. Meine Fixierung auf dich“, begann er und kam wieder
näher, „ist jedoch nicht der einzige Grund, warum ich hier bin.“
„Sag‘s
mir“, forderte sie leise und legte eine Hand auf seine breite Brust.
„Deine
Theorie ist nicht ganz falsch. Es gibt welche da draußen, die eure Früchte
wollen. Aber nicht, weil sie die brauchen würden. Sie sind Luxusgüter, mit
denen gehandelt wird.“
„Was
ist daran schlimm?“
„Das
ganze System. Die Diebe sind wie Sklaven; die Händler zwingen sie zum Stehlen und
bedrohen ihre Rudel. Wer zu wenig mitbringt, wird misshandelt. Auf unterschiedlichste
Weise …“
Vic
fiel das Mädchen ein, das hatte fliehen können. Eine Halbstarke – sie wollte
sich gar nicht vorstellen, was dem Mädchen angetan wurde, weil sie mit leeren
Händen zurückkam.
„Und
was genau willst du dann hier dagegen ausrichten?“ Vic verstand es nicht.
„Ich
bin Leonard der zweite. Ich stehe als Anführer an der Spitze einer großen Gruppe,
vergleichbar mit einem Staat der vergangenen Menschenwelt. Meine Leute leiden
unter den Zuständen und ich kann das nicht länger hinnehmen. Es gibt nur zwei
Möglichkeiten: Entweder ihr helft mir mit Setzlingen, sodass wir selbst diese
Pflanzen anbauen können oder ihr schirmt euch mit richtigen Zäunen und Mauern
ab, die rund um die Uhr bewacht werden müssen.“
Vic
schwirrte der Kopf. Sie hatte ja alles Mögliche erwartet, aber nicht so etwas.
Und gelogen hatte er nicht, das hätte sie gerochen. Viel nachdenken über das,
was sie gerade erfahren hatte, konnte sie nicht, denn Leo beugte sich zu ihr
herunter und eroberte von Neuem ihren Mund. Die verdrängte Lust flammte wieder
auf.
Leos
Hände wanderten über ihren Körper, umrundeten ihre Brüste, glitten über den
Bauch bis nach hinten auf ihren Po, den er drückte und sie gegen ihn
dirigierte. Vic kam ihm entgegen, zuckte leicht zusammen, als ihre empfindlichen
Brustspitzen vom Stoff gereizt wurden. Die leichte Reibung schickte lustvolle
Schauer durch ihren Körper und sie konnte es kaum erwarten, mit den Fingern
über sein Fell zu streichen. Wie es sich wohl anfühlen würde?
Noch
ehe sie dazu kam, es herauszufinden, löste sich Leo wieder von ihr. Er sprang
regelrecht von ihr weg.
„Da
kommt jemand!“, warnte er leise.
Vic
schluckte krampfhaft, versuchte sich unter Kontrolle zu bringen, doch es gelang
ihr nicht wirklich. Sie hatte vollkommen verdrängt, wo sie sich hier befanden!
Sie lauschte, hörte schwere Schritte, die sich über die Treppe näherten.
„Kein
Wort zu irgendjemand – noch nicht. Bitte“, sagte er leise und Vic nickte. Dann
schaltete sie in den Soldier Modus, denn sie ahnte, wer da auf dem Weg zu ihnen
war.
„Es
wird Zeit, dass du was sagst, sonst fahren wir hier andere Geschütze auf!“,
drohte sie und klang sogar echt, zumindest in ihren Ohren.
Leo
zwinkerte ihr zu und stellte sich mit leicht ausgestellten Beinen hin, die
Hände vor dem Schritt verschränkt. Sie hoffte, dass ihrer beider Erregung nicht
so stark war, dass man sie sofort roch. Kaum dass sie den Gedanken zu Ende gebracht
hatte, stieß der Wolf die Tür auf.
„Noch
immer im Dienst, sehr vorbildlich Vic“, lobte er. „Was rausgefunden?“
„Nein,
leider. Kein Ton.“ Es wunderte sie, wie leicht es ihr fiel, dem Colonel diese
fette Lüge ins Gesicht zu sagen.
„Immer
das gleiche mit diesen Mutanten!“, murrte er. Dann stockte er. „Warum trägt er
kein Band?“
„Ich
habe es abgenommen. Doch der Bestechungsversuch mit etwas Freundlichkeit hat
auch nicht funktioniert“, improvisierte Vic. Ihr langes Training machte sich
bezahlt. Sie hatte sich perfekt unter Kontrolle – der einzige, bei der ihr das
nicht gelang, war Leo!
„Ein
neues anlegen. Kein Essen mehr. Und morgen früh will ich ihn in Raum 4 haben.
Acht Uhr. Sorg dafür, dass er da ist“, ordnete der Colonel an.
„Er
wird da sein“, sagte sie und zog demonstrativ eines der Bänder aus ihrer
Beintasche. Als habe sie einen sechsten Sinn besessen, hatte sie dort eins hinein
geschoben. Alle anderen Waffen hatte sie abgelegt, sogar alle Bänder aus der
hinteren Hosentasche, wo sie sonst untergebracht waren.
Der
Wolf nickte ihr zu und verließ den Raum, sah jedoch noch einmal zurück, ehe er
ganz durch die Tür war. Vic hatte das geahnt, sie war schon zu Leo getreten und
hatte ihm das Band um die Handgelenke gelegt.
Sie
lauschte den Schritten des Colonels und als sie sicher war, dass er die Treppe
hinter sich gelassen hatte, nahm sie das Band wieder ab.
„Um
nochmal auf das Wesentliche zurückzukommen. Wie hast du dir das vorgestellt?
Ich kann nicht einfach fordern, dass man euch Setzlinge aushändigt, auch kann
ich nicht den Vorschlag machen, die Grenze zu befestigen.“
Vic
sah ihn fragend an. Leo wirkte nachdenklich. Es schien, als wäre nicht nur ihre
Lust durch den unerwünschten Besuch des Wolfes abgekühlt.
„Ich
weiß es nicht. Meine Grundidee basiert auf dem, was wir von außen betrachten
können. Eure internen Abläufe kenne ich nicht. Ein Teil meiner Familie war sogar
dagegen, dass ich mich hier fangen lasse, doch das konnten sie mir nicht
ausreden. Gibt es niemanden mit hohem Rang, dem du die Möglichkeiten als deine
Idee unterjubeln kannst? Vielleicht nebenher, in einem belanglosen Gespräch?“
Vic
schnaubte. Außer mit dem Colonel hatte sie kaum etwas mit Ranghöheren zu tun.
Und das auch nur sehr oberflächlich. Wem sollte sie beiläufig diese Vorschläge
unterbreiten? Es wollte ihr niemand einfallen, daher schüttelte sie den Kopf.
Leo
atmete tief durch und schlenderte zur Liege.
„Vielleicht
fällt dir noch jemand ein. Ich warte dann auf dich – ich kann ja hier eh nicht
weg“, witzelte er. „Bis Mogen.“
Er
ließ sich auf die Liege fallen und legte sich einen Unterarm über die Augen.
Vic wurde das Gefühl nicht los, als wenn er enttäuscht wäre.
„Ja,
bis Morgen“, erwiderte sie leise und verließ die Zelle. Es war ja nicht so, als
würde sie ihm nicht helfen wollen … aber dafür musste ihr erst Mal einfallen,
wie!
Vielleicht hat es euch bis hier her gefallen - mehr in Arbeit ;-)
Anmerkung: Vertipper bitte ignorieren, das ist die erste Fassung ohne Korrektur ...
Schönes Wochenende euch!
Sophie