Freitag, 18. Juli 2014

Ein bezaubernder Dschinni

Zum Start ins Wochenende möchte ich mein zweites Projekt, an dem ich schreibe, kurz vorstellen. Worum geht es?
Patrick erbt nach dem Tod seiner Großmusster dessen Haus. Beim Entrümpeln fällt ihm eine verstaubte blaue Philole in die Hände. Als er den Stopfen rauszieht, quillt Rauch aus dem kleinen Behältnis und kurz darauf steht ein halbnackter Mann im Raum ...

Ich würde die Story als Chick Lit bezeichnen, doch es ist ein Buch mit schwulen Protagonisten ...

Ein erster Einblick?
Bitte sehr:



D
ie Musik aus seinen Kopfhörern übertönte den Verkehrslärm, als Patrick den Gehweg entlang lief. Allerdings verfehlte Robbie Williams an diesem Tag seine Wirkung. Die Unruhe lag wie ein Stein in Patricks Magen und hatte sich seit dem Erhalt des Schreibens stetig vergrößert. Seine Schritte führten ihn an gepflegten Altbauten vorbei, bis er die Haustür erreichte, neben der ein Messingschild angebracht war. Notariat Kessler.
Er nahm einen tiefen Atemzug, schaltete die Musik aus und verstaute die Kopfhörer in der Jackentasche. Anschließend strich er sich mit einer fahrigen Geste das Haar zurück, drückte er die Tür auf und folgte dem Wegweiser in den ersten Stock.
Im Haus roch es nach Bohnerwachs und Politur. Die wuchtige Eichentür, an der ein weiteres Schild Notariat Kessler, Termine nach Vereinbarung verkündete, war geschlossen. Patrick drückte den Klingelknopf daneben, worauf der Summer betätigt wurde. Er trat ein und straffte die Schultern. Im Vorraum saß eine ansprechend gekleidete Frau mittleren Alters, die ihm zulächelte.
„Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?“, erkundigte sie sich freundlich.
„Hallo. Mein Name ist Patrick Koster, ich habe einen Termin.“ Er wollte gerade den Brief aus der Tasche ziehen, als sie aufstand.
„Ja. Sehr schön. Dann sind Sie jetzt vollzählig. Wenn ich Sie bitten dürfte“, meinte sie und wies auf eine Flügeltür, die in den Nebenraum führte. Patrick nickte nur und folgte ihr.
„Ihre Eltern sind schon eingetroffen. Kann ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee, Tee, Wasser?“
„Nein, danke.“ Patrick schluckte und trat nach ihr in den Raum. Ein großer Tisch nahm fast die gesamte Fläche und bis zur Decke reichende Regale nahmen die hintere Wand ein, gefüllt mit unzähligen Büchern. Vor den hohen Fenstern stand eine Sitzecke. Dort saßen sich seine Eltern und ein Mann im schwarzen Anzug gegenüber, der in diesem Moment aufstand und auf Patrick zukam.
„Guten Tag Herr Koster. Mein Name ist Joachim Kessler.“ Er hielt ihm die Hand entgegen, welche Patrick pflichtbewusst kurz schüttelte. „Kommen Sie, setzen Sie sich“, forderte der Notar ihn auf. Seine freundliche und fast großväterliche Ausstrahlung half ein wenig, dass Patricks Magen sich nicht mehr ganz so bleischwer anfühlte.
„Hi“, richtete er knapp an seine Eltern, wobei der Gruß eigentlich nur seiner Mutter galt. Sein Vater betrachtete seine Fingernägel, als gäbe es auf ihnen Weltbewegendes zu entdecken. Patrick kommentierte das mit einem dezenten Grunzen und setzte sich mit größtmöglichem Abstand zu den beiden.
„Aus meinem Schreiben haben Sie entnehmen können, warum ich Sie hergebeten habe. Nun, da Sie alle zugegen sind, werde ich Ihnen den letzten Willen Ihrer verstorbenen Mutter, respektive Großmutter, verlesen. Die Erblasserin, Agathe Koster, hat von ihrem Testierrecht gebrauch gemacht.“ Er räusperte sich, griff nach einer ledergebundenen Mappe und setzte eine Lesebrille auf. Kurz herrschte Totenstille im Raum und Patrick hörte sein Blut in den Ohren rauschen.
Er schielte zu seinen Eltern hinüber. Seine Mutter saß steif da, die Hände verkrampft ineinander verschränkt. Es tat ihm leid, sie so zu sehen. Es war offensichtlich, dass sie den Blickkontakt mit ihm mied. Sein Vater wippte nervös mit der Fußspitze und wandte die Augen nicht vom Notar ab.
„Mein Sohn, Edgar Koster, und dessen Ehefrau Iris, sollen nach meinem Tod meine Münzsammlung erhalten. Der Wert der Sammlung entspricht dem gesetzlichen Pflichtteil. Mein Enkel, Patrick Koster, soll nach meinem Tod mein Haus inklusive des gesamten Inventars erhalten. Meine Entscheidung begründe ich ausschließlich mit folgenden Worten:
Weil du, Edgar, deinen eigenen Sohn wie einen Aussätzigen behandelst, nur weil er homosexuell ist und sein Leben nicht nach deinen Vorstellungen lebt.
Mein Barvermögen aus Sparverträgen soll, nach Begleichung der Bestattungskosten und aller sonstigen Auslagen, dem Kinderhospiz Sterntaler zugute kommen. Damit mein letzter Wille eingehalten wird, beauftrage ich das Notariat Joachim Kessler mit der Testamentsvollstreckung. Die angemessene Vergütung ist bereits entrichtet worden. Gezeichnet, Agathe Koster, 17. Mai 2011.“ Der Notar pausierte kurz. Patrick hörte, dass sein Vater ungehalten schnaubte.
„Bevor Sie sich zu Wort melden, Herr Koster“, bremste Kessler ihn aus, „möchte ich Ihnen folgendes sagen: Ihre Frau Mutter hat dieses Testament handschriftlich in meinem Beisein aufgesetzt. Sie war im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte. Es gab keine Zweifel an ihrer Testierfähigkeit.“
Patrick schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter. Er konnte es kaum glauben. Seine Oma überließ ihm das Haus?
„Das kann doch unmöglich Ihr Ernst sein!“
Patrick sah zu seinem Vater, der puterrot im Gesicht war und sichtlich um Fassung rang. Seine Mutter hingegen war so weiß wie eine Wand und hatte die Lippen aufeinander gepresst.
„Herr Koster, was Ihre Frau Mutter hier aufgesetzt hat, ist rechtlich gesehen vollkommen in Ordnung. Ein Testament muss weder vernünftige noch von dritten nachvollziehbare Begründungen aufweisen.“
„Das ist ein Witz!“
„Ach ja?“, wandte Patrick sich an seinen Vater. „Wie du dich hier verhältst, das ist ein Witz.“
„Du … du. Was weißt du schon? Und überhaupt, was soll der Quatsch mit dem Haus? Du wohnst ja nicht mal hier! Und Sie …“, er wandte sich an Kessler, „… Sie prüfen nach, von welchen Werten wir hier sprechen.“
Der Notar räusperte sich tadelnd. „Das kann ich Ihnen sagen. Wie Ihre Frau Mutter wusste, entspricht der Wert der Münzsammlung Ihrem Pflichtteil, dürfte sogar noch ein wenig mehr einbringen, sofern Sie die Sammlung veräußern. Das Barvermögen beläuft sich auf etwa siebzig Tausend Euro und der Wert der Immobilie mitsamt Inventar wurde auf knapp Dreihunderttausend geschätzt. Einsicht in die genauen Zahlen kann Ihnen meine Sekretärin, Frau Lays, geben. Fragen Sie sie danach.“ Er wies mit der Hand zur Tür, die in den Vorraum führte.
Patrick lehnte sich zurück, während sein wutschnaubender Vater an ihm vorbei in Richtung Tür marschierte. Wenn er ehrlich war, überraschte ihn die Aufteilung nicht. Trotzdem hätte er nie für möglich gehalten, dass er das Haus bekäme. So ganz wollte die Erkenntnis auch noch nicht sacken, sie schien zu sperrig, um aufgenommen werden zu können.
„Von Ihnen benötige ich noch ein paar Angaben, um die Grundbucheintragung ändern zu lassen. Sofern Sie das Erbe annehmen wollen.“ Der Notar sah ihn an.
Patrick überlegte nicht lange. Auch wenn er sich mit seinem Chef nicht wegen einer Versetzung einigen könnte, hergeben würde er das Haus keinesfalls. Notfalls würde er es vermieten.
„Ähm, ja. Es ist zwar überraschend aber ja, ich nehme das selbstverständlich an“, sagte er und hoffte, dass er problemlos den Arbeitsplatz wechseln konnte. Es wäre schön, seine Mutter wieder in der Nähe zu haben.
„Sehr schön.“ Kessler schlug die Mappe zu und nahm die Brille von der Nase.
„Kommst du wieder zurück? Ich meine, wirst du im Haus wohnen?“, fragte seine Mutter leise. Der hoffnungsvolle Ausdruck auf ihrem Gesicht ließ ihn lächeln.
„Ja, das werde ich. Zumindest versuche ich es, auch wenn er“, er wies mit dem Daumen zum Vorzimmer, „dann an die Decke geht.“
Sie strahlte, überbrückte die Distanz zwischen ihnen und umarmte ihn. Er wurde sich in diesem Moment bewusst, wie sehr ihm das gefehlt hatte.
„Iris! Wir gehen“, dröhnte die gepresst klingende Stimme seines Vaters von der Tür her. „Und lass den Jungen los, das ist ja widerlich! Wer weiß, wo der seine Finger hatte.“
Patrick verdrehte die Augen. Seine Mutter sprang auf, bedachte ihn mit einem entschuldigenden Blick und eilte aus dem Raum. Die Tür wurde zugeknallt.
„Es tut mir leid“, wandte Patrick sich an den Notar, der die Szene stirnrunzelnd betrachtet hatte. „Wie unschwer zu erkennen war, ist mein Vater ein herrischer Mann.“
„Nun, junger Mann“, Kessler legte den Kopf leicht schräg. Ein leichtes Lächeln umspielte seinen Mund. „Ich bin ihm nie zuvor begegnet, aber Ihre Großmutter war mir eine liebe Freundin. Ich ahnte, dass diese Reaktion kommen würde. Um es mit Agathes Worten zu sagen: Er ist ein homophober Idiot.“
Patrick riss erstaunt die Augen auf, worauf Kessler leise kicherte. Es passte gar nicht zu seinem großväterlichen Erscheinungsbild.


Zwei Wochen später stand Patrick in der Einfahrt seines neuen Heims. Als Kind hatte er fast die gesamten Ferien bei seiner Oma verbracht, doch jetzt als Eigentümer vor dem Haus zu stehen, war eigenartig. Befremdlich und auf gewisse Weise erleichternd, fast, als käme er nach langer Zeit nach Hause.
Er seufzte, griff sich seine Umhängetasche und zwei der ungefalteten Umzugskartons. Er klemmte die Pappe unter den Arm, als er die Tür aufschloss. Es roch dezent nach der Seife, die seine Oma immer benutzt hatte. Wehmut erfasste ihn. Und ein schlechtes Gewissen, wobei das absolut unnötig war. Dennoch tat es ihm leid, die letzten Monate so weit weg gewesen zu sein. Seine Arbeit hatte ihn nach Berlin geführt, in die Zentrale des Softwareunternehmens, für das er tätig war. Nun war er zurück, in der Niederlassung, in der er seine Ausbildung absolviert hatte. Zurück in der Heimat. Zurück, ohne vom herzerwärmenden Lächeln der Oma begrüßt zu werden. Zurück ohne den Duft nach Apfelkuchen, den sie so oft für ihn gebacken hatte …
Er schob die bedrückenden Gedanken beiseite und sah sich um. Wo sollte er nur anfangen? Für ihn stand fest, dass er einen großen Teil der Möbel behalten würde. Jedes Stück verband er mit einer Erinnerung. Er stellte die Kartons an die Flurwand und stieg die Holztreppe hinauf. Er kannte den Grundriss des Hauses auswendig. Während unten eine große Küche, ein Hauswirtschaftsraum, Wohn- und Esszimmer waren, gab es im ersten Stock zwei Schlafzimmer, ein großes Bad und einen Salon, von dem aus man auf den Balkon gelangte. Im oberen Stock, dem ausgebauten Speicher, befand sich ein einziges Zimmer, welches man über eine Wendeltreppe erreichte. Große Fenster bis zur Giebelspitze erhellten den Raum, der keinen eigentlichen Zweck besaß. Als Patrick zuletzt dort oben gewesen war, hatte nur eine Sitzgruppe aus Rattangeflecht im Raum gestanden. Sein jetziges Ziel war allerdings nicht jener Raum unter dem Dach. Er lief über den Flur, wobei der Teppich jeden seiner Schritte schluckte. An der zweiten Tür blieb er stehen. Als er sie öffnete, sah er auf den ersten Blick, dass alles so war, wie immer. Das große Bett mit Tagesdecke und Zierkissen, das Regal daneben gefüllt mit Comics, Kinder- und Jugendbüchern sowie einigen ‚Schätzen‘, die er im Laufe der Jahre entdeckt und dort hingestellt hatte. Das Zimmer, das vor gefühlten Ewigkeiten zu seinem geworden war, unverändert und stets bereit, den Feriengast aufzunehmen. Nur dass Patrick schon lange kein Feriengast mehr war. Seine letzten Schulferien lagen bereits zehn Jahre zurück …
Er stellte die Tasche auf das Fußende vom Bett und trat ans Fenster. Beim Blick nach draußen stutze er kurz. Im Nachbargarten tollte ein Hund auf der Wiese herum, eine junge Frau warf ihm wiederholt eine Frisbeescheibe zu. Patrick kannte sie nicht – er schlussfolgerte, dass sie erst nach seinem letzten Besuch an Weihnachten eingezogen sein musste. Er glaubte sich zu erinnern, dass seine Oma ihm vom Verkauf des Hauses erzählt hatte. Patrick öffnete das Fenster und winkte seiner neuen Nachbarin – sofern sie es denn war – kurz zu, da ihr Blick zu ihm nach oben gewandert war. Sie grüßte zurück und wurde sofort wieder von ihrem Hund in Beschlag genommen.

Bewaffnet mit einem Post-it Block und Kuli wanderte Patrick durchs Haus. Er schieb entweder ‚behalten‘ oder ‚weg‘ auf die neonfarbenen Papierchen und pappte sie an die Möbelstücke. Beim zweiten Rundgang stellte er fest, dass er neunzig Prozent mit ‚behalten‘ markiert hatte. Dummerweise ließ sich das nur schwer realisieren, es sei denn, er würde sich von einem Teil seiner eigenen Möbel trennen. Seufzend ließ er sich schließlich in der Küche auf einen Stuhl sinken und trommelte mit den Fingerspitzen auf der rustikalen Tischplatte herum. Den Tisch würde er behalten, doch den Rest der Küche würde er gegen seine eigene eintauschen. Auf den Komfort seiner modernen Küchenzeile wollte er nicht verzichten.
Wenn er an den Berg an Arbeit dachte, den er nun vor sich hatte, bereute er den Entschluss, Berlin den Rücken gekehrt zu haben. Aber das Haus von Oma Tata, wie er sie als kleiner Junge immer genannt hatte, aufzugeben, wäre nicht infrage gekommen. Es war sowieso zu spät. Seine Möbel befanden sich in einem Zwischenlager der Spedition, die alles transportiert hatte. Sein Arbeitsplatz war geändert und schon in einer Woche wurde er im Büro erwartet. Da er bis dahin das Meiste erledigt haben wollte, trat er sich gedanklich selbst in den Hintern und legte los.
Bis weit nach Mitternacht packte er. Allein im Wohnzimmer füllte er sieben Kartons, ehe er müde die Treppe nach oben stieg. Gähnend beschloss er, die Dusche auf den kommenden Morgen zu verschieben.


Patrick wurde unsanft geweckt. Durch das offene Fenster schallte lautstarkes Hundegebell zu ihm herauf, dabei war es noch nicht mal richtig hell. Ein Blick auf seine Armbanduhr zeigte kurz nach fünf.
„Ist das zu fassen!“, murrte er. Da der Hund fröhlich weiter kläffte, kletterte er aus dem Bett und trat ans Fenster. In der Morgendämmerung konnte er weder den Hund noch dessen Besitzerin ausmachen.
„Fängt ja gut an“, murmelte er.
Nun, wo er schon mal auf war, entschloss er sich zu duschen und nach einem Kaffee mit dem Ausräumen der Schränke weiterzumachen.
Das Duschen ging sehr schnell – mangels warmen Wassers. Er hatte schlichtweg vergessen, den Heizkessel im Keller einzuschalten. Entgegen der Meinung seines Vaters, der ihn oft als Weichei beschimpft hatte, war er das keinesfalls. Nach der kalten Dusche lief er nackt über den Flur ins Zimmer zurück und schlüpfte in eine Shorts. Auf dem Weg nach unten zog er sich ein T-Shirt über.
Während die Kaffeemaschine ihren Dienst tat, suchte er in den Taschen seiner Jeansjacke nach der Zigarettenschachtel. Kurz darauf wurde er fündig. Er wusste, er würde im ganzen Haus keinen Aschenbecher auftreiben können – Oma Tata hatte nie einen Hehl daraus gemacht, was sie vom Rauchen hielt: Nichts. Folglich wartete er auf den Kaffee, den er dann mit nach draußen nahm. Trotz der frühen Uhrzeit war es schon angenehm warm. Im Laufe des Tages würde daraus sicherlich wieder brütende Hitze werden. Der Hund hatte inzwischen sein Gebell eingestellt, sodass Patrick seinen Kaffee in der morgendlichen Ruhe genoss, die durch das Vogelgezwitscher ziemlich idyllisch wirkte.
Er schüttelte eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. Als er den Rauch ausblies, hörte er das Garagentor des Nachbarhauses aufgehen. Es quietschte wie eh und je, was ihm ein belustigtes Schnauben entlockte.
Er fragte sich, ob da noch die gleichen Leute wohnten. Ein älteres Ehepaar, dessen Enkel wie er oft in den Ferien zu Besuch gewesen war. Dirk war sein Name gewesen. Wie oft sie in den Ferien zusammen Fußball gespielt hatten oder zum nahen See schwimmen gegangen waren, konnte er nicht mehr aufzählen. Die gemeinsamen Aktivitäten hatten schlagartig geendet, als Patrick ihm gestanden hatte, dass er schwul ist. Seit dem Tag hatte er Dirk nicht wiedergesehen. Über das Warum hatte er sich nie Gedanken gemacht – es war offensichtlich.
Patrick schnippte den Filter ins Blumenbeet, stand auf und machte sich an die Arbeit. Er hatte sich vorgenommen, nach dem Wohnzimmer das Schlafzimmer seiner Oma zu räumen. Da die Sachen zum Wegwerfen zu schade waren, hatte er eine Wohltätigkeitsorganisation gefragt, ob sie die Wäsche und anderes Inventar wollten. Für den späten Nachmittag hatte sich ein Mitarbeiter angekündigt, der einen Teil der Sachen gleich mitnehmen würde.
Um kurz nach zehn war er mit dem Wohnzimmer fertig. Sein Magen verkündete laustark Hunger. Er wollte es ignorieren, doch das Grummeln verschwand dadurch nicht. Also gab er sich geschlagen und machte sich auf den Weg zum nächsten Supermarkt.

Eine halbe Stunde später betrat er mit zwei vollen Einkaufstüten beladen wieder das Haus. Es war keine gute Idee gewesen, mit leerem Magen einkaufen zu gehen, denn Patrick hatte weit mehr in den Wagen gepackt, als er eigentlich haben wollte. Er ärgerte sich, dass er mal wieder von seiner Unfähigkeit Entscheidungen treffen zu können, tyrannisiert worden war. Nun packte er seine Errungenschaften aus und hielt inne, als erneut ein Rumoren aus seinem Bauch erklang. Irgendwie hatte es sich angehört wie ‚Rührei‘.
„Ist ja gut, kriegst ja was“, brummte er seiner Körpermitte zu.



F
risch gestärkt machte Patrick sich wieder ans Werk. Bewaffnet mit einer Rolle blauer Tüten und zwei Kartons stieg er die Treppe nach oben. Das Schlafzimmer seiner Oma zu betreten hatte etwas Eigenartiges an sich. Schon als Kind war er nicht gerne hineingegangen. Es hatte sich immer falsch angefühlt, in einen so persönlichen Bereich einzudringen.
Die Luft im Raum war abgestanden, weshalb er als erstes ans Fenster trat und es weit öffnete. Dann sah er sich um. Das Bett war gemacht und mit einer Tagesdecke versehen. Auf dem Nachttisch und der Kommode lag eine Staubschicht die vermuten ließ, dass hier seit mehr als einigen Wochen nicht geputzt worden war.
Patrick seufzte und zog eine Tüte von der Rolle. Als er sie aufschüttelte, wirbelte er genug Staub auf, dass ihm die Nase kribbelte. Er zog Grimmassen, um das kitzelnde Gefühl zu vertreiben und öffnete den Kleiderschrank. Hinter der ersten Tür verbargen sich Bett- und Tischwäsche. Fein säuberlich gestapelt und nach Farben sortiert. Er packte alles in den Sack.
Hinter den nächsten beiden Türen befand sich die Kleidung, die er auch in Tüten verpackte. Bei dem einen oder anderen Stück blitzte eine Erinnerung in ihm auf ­– an besondere Tage und Gelegenheiten, bei denen Oma Tata das Kleidungsstück getragen hatte.
Um nicht in Sentimentalitäten zu verfallen, machte er rasch weiter. Nachdem der Schrank leer und vier große Tüten voll waren, wandte er sich der Kommode zu. Da sich im Kleiderschrank weder Nacht- noch Unterwäsche befunden hatten, nahm er an, dass sie darin zu finden seien. Mit spitzen Fingern zog er die erste Schublade auf. Allein der Gedanke, Büstenhalter und fleischfarbene Schlüpfer ausräumen zu müssen, verursachte bei ihm eine Gänsehaut. Da half es auch nicht, daran zu denken, dass die Sachen einer geliebten Person gehört hatten.
Das Schicksal meinte es gut mit ihm, denn in der Lade befanden sich Socken aller Art. Als er hineingriff, fiel sein Blick auf einen Bilderrahmen, der auf der Kommode stand. Das Glas war staubig, dennoch erkannte er sich selbst. Das Bild zeigte ihn als sechsjährigen Rotzlöffel, mit Schultüte im Arm und einem schiefen Grinsen im Gesicht. Seine von der Sonne gebleichten, strohblonden Haare standen wild durcheinander, wie sie es immer getan hatten. Inzwischen hatte er es wachsen lassen, und die Naturlocken waren längst nicht mehr so störrisch. Auf dem Bild war die Welt noch in Ordnung gewesen. Sein Vater mit stolzgeschwellter Brust im Hintergrund, seine Mutter mit einem Lächeln auf den Lippen stand etwas versetzt daneben. Damals war ihr Haar noch lang gewesen, genauso blond und gelockt wie seines. Nicht das einzige, das Patrick von ihr hatte. Sie teilten die gleichen grünen Augen und besaßen beide ein hilfsbereites Wesen. So plötzlich an den Tag der Einschulung erinnert zu werden, rief Bilder einer heilen Welt hervor.
Ein leises Lachen kam ihm über die Lippen und er griff nach dem Rahmen. Mitten in der Bewegung hielt er inne, denn hinter dem Bilderrahmen mit dem silbernen, verzierten Rand kam eine kleine Vase zum Vorschein, die eine eigenartige Form besaß. Noch mehr verwunderte ihn der Umstand, dass die Vase deutlich mehr Staubablagerungen als der Rest der Kommode aufwies. Und gesehen hatte er sie auch noch nie – bei keinem seiner Besuche.
Patrick stellte das Bild wieder hin, griff stattdessen nach der kleinen Vase, deren blaue Farbe nur zur erahnen war.
„Was …?“, rutschte es ihm heraus, als er sah, dass die vermeintliche Vase einen Deckel besaß.
„Geheimer Schnapsvorrat, was Oma?“, murmelte er und zog an dem Deckel, der wie ein Stopfen aussah. Zugleich wischte er einen Teil des Staubes ab, der dem Glas anhaftete.
Es zischte, kaum dass er den Pfropfen rausgezogen hatte, Qualm stieg auf und Patrick ließ das Gefäß erschrocken fallen. Der Rauch breitete sich aus und obwohl diese Menge nie und nimmer in diese kleine Vase – oder was auch immer es war – gepasst hätte, sah er gebannt zu. Wie erstarrt stand er da, unfähig irgendetwas zu tun.
Der Rauch lichtete sich, wie Nebel in der Disco, und Patrick blinzelte verwirrt. Da stand ein Kerl …
„Jesses! Whoa! Beim Arsch der Götter. Warum verflucht noch eins hast du mich so lange da eingequetscht? Da drin ist es enger als in Cleopatras Arsch! Warte nur ab, wenn ich mich fertig sortiert hab … verfickte Kacke, ich weiß gar nicht, was mir nicht eingeschlafen ist!“, zeterte der aus dem Nichts aufgetauchte Typ.
Patrick starrte ihn mit großen Augen an. Er zweifelte an seinem Verstand. Sah er da vor sich wirklich einen Kerl – nur in Hosen?
„Agathe, ich sag‘s dir …“, er stockte und blickte Patrick mit offenem Mund an.
„Heilige Scheiße!“, rutschte es Patrick raus.
„Das kannst du laut sagen! Meine Fresse, mein Auftritt war jetzt nicht der ruhmreichste.“
Patrick blinzelte. Dann sah er sich um. War er irgendwie bei ‚Versteckte Kamera‘ oder so gelandet? Das war doch gerade nicht wirklich passiert!? Männer tauchten nicht einfach aus dem Nichts auf – und schon gar nicht so einer! Der gestählte Oberkörper, die kräftigen Arme und das markante Gesicht glichen einer Adonisstatue. Die eigenartige schwarze Hose erinnerte Patrick irgendwie an den Orient. Und Schuhe hatte der Kerl auch keine an!
„Äh – wer oder was bist du?“, fragte Patrick vorsichtig. Er wusste nicht, ob er die Antwort hören wollte.
„Das könnte ich dich auch fragen. Wo ist Agathe? Mit der hab ich noch ein Hühnchen zu rupfen! Mich so lange schmoren zu lassen …“
Patrick blickte auf die kleine Vase, bückte sich und nahm sie in seine Hand. Dann sah er zu dem Bild von Mann, der eher in einen Kleiderschrank passen würde, als in dieses winzige blaue Ding.
„Äh … du warst nicht echt hier drin?“
Der Kerl verschränkte die Arme vor der nackten Brust. Der Blick, der Patrick aus den dunklen Augen seines Gegenübers traf, wirkte belustigt.
„Natürlich war ich das. Es ist kein Vergnügen, jahrelang da drin festzusitzen, das sag ich dir. Über fünfzehn Jahre! Ich kann meine Zehen jetzt noch nicht spüren. Von anderen Körperteilen mal ganz abgesehen. Dabei weiß ich gar nicht, was ich angestellt habe, dass sie mich nicht mehr gerufen hat.“ Er zog einen Schmollmund, der mehr wie ein Kussmund aussah.
Patrick vertrieb den Gedanken, trat zwei Schritte zurück und ließ sich auf das Bett sinken. Er schüttelte ungläubig den Kopf.
„Ein Flaschengeist?“, fragte er – mehr an sich selbst gerichtet, als an den barfüßigen Kerl, der ihn abwartend ansah. „So was gibt’s doch nur im Film …“ Vor allem, wenn der angebliche Geist wirkte, wie ein Mann aus Fleisch und Blut. Obendrein auch noch verdammt sexy war.
„Ja, klar! Wäre ich dann hier? Außerdem bin ich kein schnöder Flaschengeist. Ich bin ein Dschinn!“ Das letzte Wort betonte er überdeutlich.
„Was? Wie bei Aladdin? Warum wohnst du dann nicht in so einer hübschen Lampe?“
Der Dschinn verzog das Gesicht. „Die waren zu der Zeit wohl aus. Also, wo steckt sie?“
„Wer?“
„Agathe!“
„Tut mir leid, aber mit ihr wirst du nicht mehr reden können. Sie ist gestorben.“
„Och, dabei war es immer so lustig mit ihr … bis sie mich eingesperrt hat.“ Er verzog das Gesicht. Was wohl wie eine beleidigte Miene wirken sollte, sah ziemlich komisch aus. Zumindest für Patrick, der sich ein Lachen nicht verkneifen konnte.
„Ja, ja. Lach ruhig. Ich schlussfolgere: Da Agathe nicht mehr unter uns weilt und ich einige Jahre verpasst hab, musst du der kleine Rotzlöffel sein, der sie immer besuchen kam und ich währenddessen mein kuscheliges kleines Heim nicht verlassen durfte.“
„Sie war meine Oma, ja. Und ja, ich habe sie oft in den Ferien besucht. Ich fasse es nicht … Du warst damals echt schon hier?“, Patrick schnaubte. „Oh Mann, ich rede mit jemandem, den es gar nicht geben kann!“
„Bla, bla, bla. Immer das Gleiche. Siehst du mich, oder nicht?“
Patrick verdrehte die Augen. „Ja, ich sehe dich. Ich weiß nur gerade nicht, was das über meinen Geisteszustand aussagt.“
„Na ja, über deinen Verstand kann ich mir kein Urteil bilden. Deine Augen und Ohren funktionieren einwandfrei. Und, wie darf ich meinen neuen Meister anreden?“
„Was?“
„Hab mich geirrt, hast doch was an den Ohren. Oder bist schwer von Begriff … wie heißt du?“
„Patrick. Hab‘ schon verstanden, was du gemeint hast, nur das Wörtchen Meister verwirrt mich etwas.“
Jetzt rollte der Dschinn mit den Augen. Er begann, mit seinen Fingern auf dem Arm zu trommeln und seufzte vernehmlich, als wäre er genervt. „Ein Crashkurs: Ich bin der Dschinn, du hast mich gerufen. Folglich bist du jetzt mein Meister und ich dir zu Diensten. So ist das, wenn man an einer Wunderlampe reibt. Und nun Meister Paddy, was kann ich für dich tun?“, leierte er herunter.
„So ist das“, erwiderte Patrick schmunzelnd. Irgendwie machte die Sache Spaß, auch wenn er sie weiterhin für einen Scherz hielt. Irgendwo mussten hier Kameras versteckt sein und der Adonis war ein guter Schauspieler. „Wenn ich dein Meister bin, dann will ich, dass du Patrick sagst und nicht Paddy. Hast du einen Namen oder bist du einfach nur der Dschinn?“
„Ich besitze keinen festen Namen …“
„Oh, gut. Dann heißt du jetzt Abdul, was meines Wissens nach Diener bedeutet.“ Patrick verkniff sich ein Lachen, denn sein Gegenüber hatte entsetzt die Augen aufgerissen. Er fing sich jedoch recht schnell wieder.
„Oh nein! Das wird mir ja gar nicht gerecht! Ich bin doch kein gewöhnlicher Diener“, begehrte er auf. „Jesses nee! Ein Diener! Pah! Ich zeig dir mal was und dann diskutieren wir über meinen Namen.“ Kaum ausgesprochen drehte er sich einmal um sich selbst, erfasste die Lage im Raum und erkannte, was Patrick dort gemacht hatte. Der Dschinn klatschte in die Hände, wies mit den Zeigefingern auf die Tütenrolle, dann auf die Kommode. Patrick klappte die Kinnlade runter, als sich eine Tüte von der Rolle spulte und aufblähte, sich die Schubfächer der Kommode öffneten und alles, was darin war, in die Tüte wanderte. Von Zauberhand! Ganz treffsicher war der Flug der Wäsche nicht – ein Stapel Stofftaschentücher und ein Bündel Seidenstrümpfe fiel daneben – was der Dschinn mit einem Achselzucken abtat.
„Ich bin noch nicht ganz aufgetaut“, entschuldigte er sich.
Patrick schluckte und verwarf die Vorstellung, im Zimmer wären Kameras versteckt. Dafür zweifelte er erneut an seinem Verstand. War er schon zu lange ohne Partner, dass er sich einen Mann herbeiträumte? Möglich wäre es, vor allem, da dieses Exemplar da vor ihm absolut nach seinem Geschmack war. Schwarze Haare und dunkle Augen, einen Body wie gemalt und aus jeder Pore quoll der Sex-Appeal. Solche Männer gab es nur im Traum oder in Wahnvorstellungen.
Plötzlich kam der halb Nackte mit Patrick genau auf Augenhöhe.
„Meister Patrick, bist du überzeugt?“
„Nenn mich noch mal Meister, dann nenn ich dich Abdul.“ Seine Stimme wollte ihm kaum gehorchen und jetzt, wo der Kerl so nah war und Patrick ihn sogar riechen konnte, fiel es ihm schwer, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.
„Ich brauche einen Namen, der unterstreicht, wie grandios ich bin!“
„Aha, und wie sollte der lauten?“
„Wenn du schon so fragst … ich will Arshaq – ich betone Ahr-shak – heißen, weil es ‚hübsch, mit starkem und gut proportioniertem Körper‘ bedeutet.“ Wie zum Beweis strich er sich mit den Händen über die Brust, glitt an den Seiten entlang bis zum Hosenbund und hielt inne. Patrick konnte nicht wegsehen.
„Kann es sein, dass ich dir gefalle? Ach was, doofe Frage. Natürlich tue ich das“, er straffte die Schultern und setzte eine zufriedene Miene auf, „denn ich bin der wahrgewordene feuchte Traum aller Frauen und Männer!“
Patrick schnaubte. „Einbildung ist auch ne Bildung, auch wenn‘s die einzige ist. Frauen haben doch keine feuchten Träume.“
„Weißt du das so genau?“, fragte der Dschinn und beugte sich wieder herunter. „Oder vermutest du das nur? Ich seh‘ schon, das zweite trifft zu. Ich bin schon sooo alt, erzähl mir nichts. Mir kannst du keinen Bären aufbinden.“
„Mag sein. Aber nehmen wir mal an, ich spiele dein Spielchen mit … ich gehe jetzt runter um eine zu rauchen. In der Zwischenzeit kannst du deinen Trick mit dem Schweben weiter vollführen und hier alles ausräumen. Die Tüten kommen dann alle in eine Ecke, die holt nachher jemand ab.“
„Dein Wunsch ist mir Befehl!“, erwiderte der Dschinn theatralisch. Patrick lachte und stand auf, darauf bedacht, den Kerl aus der Vase nicht zu berühren.


Draußen stand die Mittagshitze. Kein Lüftchen wehte. Obendrein war es still. Aus der Nachbarschaft war kein Laut zu hören, kein Vogel sang. Patrick kam sich vor, als würde die Zeit stillstehen und jemand hätte ihn in eine andere Dimension verfrachtet – ganz Kinolike. Er schüttelte den Kopf, als er sich in den Schatten setzte und das Feuerzeug zückte. Er fragte sich, ob das alles eben wirklich passiert war. Vermutlich nicht. Wenn er gleich wieder hinauf ginge, würde die Tüte vor der Kommode liegen, die Schublade mit den Socken geöffnet und kein Dschinn aus der Wunderlampe, äh Vase, weit und breit zu sehen sein. Zumindest sagte er sich das.
„Patrick?“, schallte es von oben.
„Reine Wahnvorstellung“, kommentierte Patrick leise.
„Huhu, Patrick? Die Schränke sind leer, was soll ich denn jetzt machen?“
„Bau sie auseinander!“, erwiderte er laut.
„Okay. Ach, Rauchen ist ungesund. Davon kriegt man schlechte Haut und ‚Mann‘ wird impotent!“
Patrick bekam den Rauch in den falschen Hals und musste husten.
„Was hab‘ ich gesa-hagt?“, trällerte es von oben.
„Das ist keine Wahnvorstellung, das ist ein Albtraum“, murrte Patrick, als er wieder durchatmen konnte.
Plötzlich tauchte der Dschinn vor im auf, was Patrick einen Schrecken einjagte. „Ich bin kein Albtraum“, meckerte er.
„Herr im Himmel!“, stöhnte Patrick, bemüht, sein rasenden Herzschlag wieder in den Griff zu bekommen.
„Gnäh, der hilft dir auch nicht. Aber dafür hast du ja jetzt mi-hich.“ Der Kerl tänzelte vor ihm rum und Patrick hoffte, dass niemand aus der Nachbarschaft ihn sah.
„Wenn du meinst … tu mir einen Gefallen und zieh was über!“
„Na gut.“ Er schnippte und schon trug er ein weißes Muskelshirt am Leib. „Besser?“
Patrick betrachtete ihn. „Ja“, sagte er, obwohl er das nicht meinte. Mit dem Shirt sah er aus, wie ein in Silberpapier gewickeltes Bonbon, bei dem man sich darauf freute, den Inhalt zu entpacken, aber das behielt er lieber für sich.
„Oki, doki. Wohin jetzt mit den Möbeln?“
„Gute Frage. Ich habe keine Ahnung.“
„Aha.“ Der Dschinn setzte sich vor ihn auf den Boden und kreuzte die Beine zum Schneidersitz.
„Was wird das?“
„Na, ich warte.“
„Worauf?“
„Dass du mir sagt, was ich tun soll.“
„Wie wäre es mit verschwinden? Wie krieg ich dich eigentlich zurück in die Vase?“
„Das sag ich dir, wenn ich Arshaq heißen darf.“
Die Erwiderung, die Patrick auf der Zunge lag, sprach er lieber nicht aus. Nicht, dass der Dschinn die Worte als Befehl auffassen würde … nur die Vorstellung trieb ihm die Schamesröte ins Gesicht. Daran zu denken, was der Dschinn tun würde, wenn er die Worte ‚Leck mich‘ ausspräche …
„Geht’s dir nicht gut? Du siehst so rot aus.“
„Mhpf! Mir geht’s nicht gut, seit du aufgetaucht bist! Du willst was zu tun? Dann geh rein, guck dir die Möbel an. Da hängen Zettel dran. Die, auf denen ‚weg‘ steht, kannst du ausräumen. Kartons findest du im Auto.“
„Alles klar. Und trink ein Glas Wasser, das hilft bei der Hitze.“
„Klugscheißer!“, murrte Patrick.
„Hey!“, entrüstete sich der Dschinn. „Wenn ich Klugheit scheißen würde, wäre ich inzwischen so dumm wie die Steinplatte, auf der du sitzt.“
Patrick grunzte nur. Was hätte er auch darauf erwidern sollen? Er zog ein letztes Mal an der Zigarette, ehe er die Glut neben sich in der Erde ausdrückte. Es kam kein ungebetener Kommentar, was bedeutete, dass der Dschinn das entweder nicht gesehen hatte, oder der Schatten spendende Strauch keinen Schaden davon nehmen würde.
Er nahm einen tiefen Atemzug und stand auf. Irgendwie hoffte er immer noch, dass alles beim Alten wäre, wenn er wieder ins Haus trat. Dass dem nicht so war, hätte er auch blind erkannt. Wie eine kleine Windhose fegte dieser Geist, der gar nicht wie einer aussah, über den Flur, verschwand hier und da, nur um kurz darauf wieder angewirbelt zu kommen. Patrick stand blinzelnd in der Tür, während sich in Windeseile Kartons im Flur stapelten. Er kratze sich ungläubig am Kopf, sah hinter sich und erwartete ein Kamerateam. Er wurde das Gefühl nicht los, dass ihn hier jemand anständig durch den Kakao zog. Aber da war niemand. Nur er, die brütende Hitze in seinem Rücken und ein wildgewordener Kerl, der aus einer Vase gehüpft … äh, gedampft war.
„Ich glaub, mir bekommt das Wetter hier nicht“, murmelte er, zog die Tür hinter sich zu und schlurfte in die Küche, um sich eine Flasche Wasser zu holen. Vielleicht litt sein Gehirn unter Flüssigkeitsmangel, weshalb ihm sein Kopf Streiche spielte. Das alles konnte doch nur eine Halluzination sein …
Patrick umschloss den Griff der Kühlschranktür und seufzte, schüttelte über seinen Gedankengang den Kopf und öffnete die Tür. Er zog die Flasche aus dem Fach und wollte gerade die Tür schließen, als hinter ihm ein „Und was jetzt?“ ertönte. Vor Schreck hätte er beinahe die Glasflasche fallen lassen.
„Ups, ich wollte dich nicht erschrecken. Du bist ja ein richtiger Hasenfuß“, amüsierte sich der Dschinn.
Patrick schloss die Augen, öffnete die Flasche und setzte sie an. Er hoffte, wenn er nur lange genug nicht hinsah, würde diese Erscheinung wieder verschwinden.
Er hörte es rascheln und linste mit einem Auge. Der Kerl war weiterhin da, hatte sich an den Tisch gesetzt und sah ihn erwartungsvoll an.
Patrick nahm die Flasche vom Mund. „Kannst du nicht einfach wieder abhauen?“
„Warum sollte ich? Außerdem hättest du dann alles alleine ausräumen müssen. Jetzt habe ich das für dich erledigt. Dankbarkeit sieht anders aus“, murrte er.
Patrick trat an den Tisch, stellte die Flasche ab und ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Du bist ja witzig! Ich soll auch noch dankbar dafür sein, dass ich hier mit einer Halluzination rede?“ Er grunzte ungehalten.
„Ich bin doch keine Hallo… äh, Einbildung!“
Schneller, als Patrick reagieren konnte, war der Arm des Dschinn vorgeschnellt und dessen Hand berührte seine. Warm, fest und sehr real. Gepflegte Nägel und weiche Haut. Patrick schluckte schwer. Sollte dieser Kerl da tatsächlich echt sein? Ein Mann wie aus dem Bilderbuch, verlockend gut aussehend, sehr sexy und … ausgestattet mit einer ziemlich vorlauten Klappe.
„Und? Bin ich real oder nicht?“
Patrick räusperte sich. „Da ich deine Hand spüre, muss ich davon ausgehen, dass du das bist.“ Leicht resigniert zog er seine Hand weg. „Oder ich bin nicht mehr ganz richtig im Kopf.“
„Keine Sorge, da drin wird schon alles in Ordnung sein. Agathe hat sich allerdings nicht so schwer getan, mich zu akzeptieren. Bist du sicher, dass ihr verwandt seid?“
„Apropos – wie ist sie eigentlich auf dich gekommen?“
„Auf mich? AUF mich? Leck‘ die Katz‘ am Arsch! Sie war niemals auf mir! Ich mache ja vieles, aber das nicht!“, entrüstete er sich und seine Mimik bezeugte, dass er auch meinte, was er sagte.
„So hab ich das doch nicht gemeint. Also, wie bist du ZU IHR gekommen?“
„Ah, schon besser. Das ist einfach. Die Sache war so: Bevor ich zu Agathe kam, war ein marokkanischer Gewürzhändler im Besitz meiner Lampe. Der Trottel hat sie kaputt gemacht, weshalb ich notgedrungen in die blaue Vase umgezogen bin. Das waren Zeiten … der Händler war ein egoistischer Arsch, aber sein Kammerdiener, der hatte einen Arsch! Und was für einen. Na ja, meine Ersatzbehausung ist dann wohl ausversehen in eine Lieferung geraten, die nach Deutschland ging. Ich bekomme nicht alles mit, wenn ich da drin stecke, aber mein Weg führte wohl von Marokko aus nach Frankfurt. Von dem Großhändler aus weiter nach München … ja, und da hat Agathe mein bescheidenes Heim gekauft.“
„Wann war das?“
„Hmm … müsste so etwa fünfundzwanzig Jahre her sein.“
„Du willst mich auf den Arm nehmen!“ Die Bemerkung mit dem Hintern des Kammerdieners ignorierte er geflissentlich.
Der Dschinn riss empört die Augen auf. „Wenn ich scherze, dann etwa so: Wusstest du, dass die Entstehungsgeschichte in der Bibel nicht stimmt? Gott schuf nur den Mann – den Rest hat der Lehrling gemacht!“
Patrick grinste belustigt. „Du musst sehr alt sein, wenn du das weißt“, erwiderte er.
„So alt nun auch wieder nicht. Was ist jetzt mit meinem Namen?“
Patrick schürzte die Lippen. Hatten sie nicht eine Abmachung getroffen?
„Wie kommst du zurück in die Vase?“
Der Dschinn rümpfte die Nase. „Na gut. Du musst dazu eßiehcs egilieh sagen. Puff, dann bin ich weg.“
„Ich brech‘ mir ja die Zunge, wenn ich das aussprechen muss. Wer hat sich denn das einfallen lassen?“
„Na du. Wer sonst?“
„Wie ich?“
„Das, was du als erstes gesagt hast, nachdem ich aus meinem Unterschlupf gekrochen bin, musst du nun jedes Mal sagen, um mich zu rufen. Das ganze rückwärts schickt mich zurück. So einfach ist das.“
Patrick rieb sich über die Stirn. „Und was bitte soll ich in dem Moment gesagt haben? Asix Egilie – Eilige Xisa? Das hab‘ ich im Leben nicht gesagt!“
Der Dschinn schüttelte den Kopf. „Hast du auch nicht. Du hast ‚Heilige Scheiße‘ gesagt.“
„Ups. Damit rufe ich dich? Ernsthaft?“
„Wenn wir zusammen im Haus sind, kannst du natürlich auch Arshaq rufen. Nur, wenn du unterwegs bist, solltest du dir zweimal überlegen, wie du fluchst. Ich könnte nämlich ganz plötzlich neben dir auftauchen.“
„Werde ich mir merken. Ich habe nicht unbedingt das Bedürfnis, dass du im Supermarkt oder im Büro halb nackt neben mir erscheinst.“
„Schade …“ Übertrieben gespieltes Bedauern begegnete ihm.
Patrick war versucht, dem Dschinn die Wasserflasche entgegenzuschleudern, ließ es aber bleiben. Stattdessen verdrehte er die Augen, stand auf und ließ den Kerl kommentarlos sitzen.



Das waren die ersten 30 Seiten des Romans - mehr in Arbeit.
Vic - Animal Soldiers ebenfalls - je nachdem, welche Geschichte sich gerade in den Vordergrund drängelt ;-)

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