Freitag, 20. Juni 2014

Vic - Animal Soldier

Hallo Leseratten ;-)

Sofern es meine Zeit erlaubt - und zum Schreiben herrscht akuter Zeitmangel - tippe ich an dieser Story, die geplant ist als Kurzroman mit rund 100 Seiten.


Zum Reinlesen bei bookrix verfügbar oder eben hier das erste Stück, zwei Kapitel, für euch:



Ein neuer Gefangener


„Jetzt mach schon!“, drängte Silver.
„Ich bin ja schon startklar“, erwiderte Vic und steckte sich die Dolche an den Gürtel. Kurz darauf verließen sie den Raum, der ihnen während der Einsatzphasen als Unterkunft diente. Auf dem Weg nach draußen band Vic ihre langen Haare zu einem Zopf zusammen. In solchen Momenten beneidete sie Silver um die Kurzhaarfrisur, die sie zwar männlicher wirken ließ, aber ihren Sex-Appeal noch unterstrich und draußen ungemein praktisch war.
Kaum hatten sie die Zwischentür passiert, schlossen sich Amber und Cat an.
„Wisst ihr schon etwas Genaues?“
Vic sah zu Amber und zuckte mit der Schulter. „Nicht wirklich. Es hieß, es treiben sich mal wieder Wilde am Rand des Territoriums rum.“
Cat schnaubte. „Immer dasselbe mit denen. Schleichen sich an und glauben, hier ins gemachte Nest krabbeln zu können.“
„Klingt aufregend!“ Silver verdrehte die Augen. Ihr schien die beinahe immer gleiche Arbeit der Animal Soldiers zu eintönig zu sein.
„Beschwer dich nicht, sonst versetzen sie dich noch zum medizinischen Zentrum, da geht es heftiger zu, als bei uns hier draußen“, erwiderte Cat.
Silver kam nicht mehr dazu, noch etwas zu erwidern, denn sie erreichten die Tür, die auf den Hof führte. Colonel Bob Trapper – von allen nur Wolf genannt – erwartete sie bereits.
„Soldiers“, er nickte ihnen kurz zu. Die vier Frauen erwiderten die grüßende Geste. „Zwei Überwachungssensoren haben angeschlagen. Es ist das vierte Mal in dieser Woche, dass die Wilden versuchen, in unser Gebiet einzudringen. Kümmert euch darum … und wenn es geht, bringt eine dieser Kreaturen mit.“ Er spie das Wort förmlich aus und Vic wusste so gut wie jeder andere, was der Colonel von den Wilden hielt.
Nichts.
Für ihn waren sie nur eine abartige Form der genetischen Mutation, die vor Jahren dafür gesorgt hatte, dass die menschliche Rasse so gut wie ausgelöscht war. Es gab nur noch die ‚Animalis‘ – Mischwesen, deren Sicherheit in den Händen der Animal Soldiers lag, sofern sie sich innerhalb des Territoriums befanden und offiziell zum Volk gehörten. Ihre Besonderheiten sah man auf den ersten Blick nicht, man könnte sie alle für Menschen halten, wären da nicht die tierischen Merkmale und Instinkte, die sie zu außergewöhnlichen Wesen machten.
„Wieder ein nutzloses Verhör?“, wagte Cat zu fragen, was ihr einen strengen Blick vom Wolf einbrachte. Sie neigte den Kopf und weil ihre rote Lockenpracht hochgesteckt war, entblößte sie somit unterwürfig ihr Genick. Der Colonel knurrte kurz, was bezeugte, dass er ihre Entschuldigung annahm.
„Ich erwarte Meldung, sobald ihr etwas habt.“
Die vier gaben ihre Bestätigung, worauf der Colonel sie entließ. Bis zur Grenze, an der die Sensoren angebracht waren, brauchten sie nur wenige Minuten. Die Landschaft war gespickt mit Sträuchern, Bäumen und Hecken. Das verhinderte zwar eine gute Übersicht über den Grenzbereich, doch für die meisten Animalis war das Grün lebenswichtig.
Vic verließ sich auf ihre Sinne. Erschnupperte die Umgebung, erfühlte sie mit ihren Härchen auf der Haut und betrachtete sie mit den Augen einer Raubkatze. Nichts anderes steckte in ihr. Die Gene eines Pumas.
Schnell konnte sie die Witterung aufnehmen. Ein kurzer Blick zu den anderen sagte ihr, dass diese auch Spuren nachgingen. Vic hielt sich links, steuerte auf eine kleine Baumgruppe zu, in deren Schatten Beerensträucher standen. Trotz dass die süßen Früchte einen intensiven Duft verströmten, konnte Vic den Geruch des Wilden deutlich darunter ausmachen. Würzig und schwer kroch er in ihre Nase. Gar nicht unangenehm.
Beinahe lautlos schlich sie über das Gras, näherte sich der Stelle, von der sie den Duft am intensivsten wahrnahm. Sie zog ihren Dolch mit der rechten Hand, während sie die linke ausstreckte, sprang und mit einem Satz im Gebüsch landete. Einige Äste brachen, die Sohlen ihrer Stiefel gruben sich in den weichen Erdboden. Nur einen Moment später hockte sie auf einem Wilden, ihr Messer an seine Kehle gepresst. Sie fauchte und zeigte ihm die Zähne.
Sie spürte seinen Körper unter sich vibrieren, ein Grollen steckte in seiner Brust, doch er ließ es nicht heraus. Vic konnte sein Gesicht nicht sehen, denn er hatte schützend die Hände davor geschlagen.
„Dass ihr es auch immer wieder versucht“, zischte sie und drückte das Messer noch fester an seinen Hals, ein kleines Rinnsal Blut lief an der Klinge entlang.
Der Wilde nahm die Arme herunter und Vic blickte in ein markantes Gesicht und bernsteinfarbene Augen, die sie bittend ansahen.
„Die Betteltour zieht bei mir nicht.“
Er schluckte und Vic lockerte gerade noch rechtzeitig den Druck der Klinge auf der Haut. Durch die Schluckbewegung hätte er sich selbst den Hals aufschlitzen können.
„Wenn ihr euch nicht so abkapseln würdet, müssten wir nicht immer eindringen“, verteidigte er sich.
Seine Stimme hatte eine angenehme Klangfarbe. Nicht zu tief, weich und dennoch männlich. Fast wie ein Schnurren.
Vic verwarf den Gedanken und griff in ihre Gesäßtasche, wo sie die Bänder aufbewahrte. Sie zog eines hervor und ließ es um die Handgelenke des Wilden schnellen. Die elektronische Fessel setzte einen großen Teil seiner Instinkte außer Kraft. Dass er sich nicht gewehrt hatte, wunderte sie.
„Du kommst mit.“ Keine Bitte, ein Befehl.
Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung sprang sie von ihm herunter und zog ihn gleichzeitig mit in die Höhe. Nun, wo er stand, überragte er sie fast um einen Kopf. Seine Schultern waren breit und sie würde wetten, dass sie hinter ihm verschwand. Allerdings würde ihm das nichts nützen. Sie war ausgebildet für das, was sie tat. Und trotz ihrer schlanken, beinahe zierlichen Gestalt steckte eine unbändige Kraft in ihr.
Vic tastete ihn ab, konnte aber keine Waffen finden. Er trug nur einen ledernen Beutel mit sich, der an seinem Gürtel hing. Vic riss ihn ab und schaute hinein.
„Flokibeeren?“ Fragend sah sie ihn an.
Er presste die Lippen aufeinander und schien kein Interesse daran zu haben, ihr zu antworten. Im Grunde war das auch überflüssig, die Beeren wuchsen nur innerhalb ihres Gebietes und besaßen besondere Inhaltsstoffe, die wichtig für die Animalis waren. Nur, was wollte der Wilde damit? Soweit sie wusste, waren die gar nicht auf spezielle Nahrung angewiesen. Ihre tierischen Merkmale waren stärker ausgebildet und viele ernährten sich von Fleisch. Die Bewohner des abgegrenzten Territoriums nicht.
„Warum stiehlst du unsere Früchte?“
Keine Antwort.
„Was wolltest du damit?“
Immer noch nichts. Er presste die Lippen so fest zusammen, dass sie wie ein Strich aussahen. Schade eigentlich. Er besaß einen schönen Mund.

*

Zehn Minuten später schob Vic den Gefangenen in den Verhörraum und zwang ihn fast auf den Stuhl vor dem Tisch. Er hatte kein Wort mehr gesagt und sich nur mitschleifen lassen. Vic hätte zu gerne gewusst, was in seinem Kopf vorging. Er saß da und starrte auf die abgegriffene Platte des Tisches.
Sie umrundete ihn, betrachtete ihn von allen Seiten. Sein braunes Haar war kurz gehalten, die Haut leicht gebräunt. Vic zog sich einen Stuhl herbei und setzte sich rittlings darauf. Er starrte weiter auf das Holz, als wäre dort Weltbewegendes zu sehen. Sie fragte sich, wann der Wolf auftauchen würde – sie hatte doch gemeldet, dass sie einen Wilden einfangen konnte.
„Ich bin Vic“, sagte sie unvermittelt und aus einem Gefühl heraus.
Langsam hob der Fremde den Kopf, drehte ihn ihr zu. Er schnaubte und wandte sich wieder dem Tisch zu.
„Na schön, dann nicht. Wenn du beim Colonel ebenso gesprächig bist, wird das kein angenehmer Tag für dich“, prophezeite sie ihm.
Als hätte der nur darauf gewartet flog die Tür auf und betrat mit donnernden Schritten den Raum. Vic stand auf und sah ihrem Boss entgegen.
„Wo hast du ihn aufgegriffen?“
„Nahe der Grenze zwischen Sträuchern.“
„Gut. Danke – du kannst gehen.“
Vic nickte dem Colonel zu, schielte noch einmal zu dem Gefangenen und verließ das Zimmer. Auf dem Gang kam ihr Cat entgegen, die genüsslich in einen violetten Apfel biss.
„Hab gehört, du hast einen geschnappt. Ich hatte weniger Glück.“
„Tut mir leid. Wer war es?“
„Eine Halbstarke, ich vermute mit Reptiliengenen. Sie roch streng und war flink wie eine Echse.“
„Silver und Amber?“
„Weiß nicht, hab sie noch nicht gesehen. Ich nehme an, sie sind noch draußen.“
Sie hatten das Ende des Ganges erreicht als aus dem Verhörraum Gepolter und Schreie erklangen. Vic sah über ihre Schulter, als Gebrüll und Wolfsgeheul folgten. Es klang, als würden sich der Wilde und der Colonel mit ihren Stimmen messen wollen.
„Geh schon mal vor“, wandte sie sich an Cat, „ich glaube, ich bleibe lieber in der Nähe.“
„Okay. Besser du als ich, du weißt ich hasse es, wenn der Wolf ausflippt.“
Vic schenkte ihr ein Lächeln und lief zurück. Vor der Tür des Raumes stoppte sie. Hätte sie die äußeren Merkmale ihres Tieres, würde sie sicherlich die Ohren spitzen, so aber blieb es beim Lauschen.
„Lieber lasse ich mich umbringen, als meine Leute zu verraten“, hörte sie den Gefangenen knurren.
„Du wirst deine Meinung noch ändern, glaub mir!“, drohte der Wolf. Kurz darauf wurde die Tür aufgerissen.
Vic stockte. Der Gefangene blutete aus Mund und Nase, der Colonel trug eine versteinerte Miene zur Schau.
„Bring ihn runter und schließe ihn ein!“, befahl er an Vic gerichtet, die Pflichtbewusst bejahte. Sie übernahm die gefesselten Hände des Gefangenen, der Colonel rauschte mit stampfenden Schritten davon. Vic konnte seine Wut verstehen. Bislang hatte nicht einer geplaudert. Jeder Wilde, den sie gefangen nahmen, schwieg und verriet nichts über den Aufenthaltsort seiner Gruppe, ganz gleich wie sehr er gefoltert wurde.
Vic kam eine Idee. Es könnte funktionieren, doch dem Colonel dürfte sie davon nichts erzählen. Vorerst nicht. Mit Gewalt waren sie nicht weit gekommen – wie aber sähe es aus, wenn sie dem Fremden Freundlichkeit entgegen brachte?
Der stolperte mehr hinter ihr her, als dass er lief. Vic ahnte, dass der Wolf mehrere Stellen des Körpers mit Tritten und Schlägen bearbeitet hatte, als offenkundig zu sehen waren.
Im unteren Stock gab es drei Zellen. Die erste davon stieß Vic auf und dirigierte den Wilden zu der Liege, die darin stand. Er ließ sich wie ein Sandsack darauf fallen. Er schloss die Augen und Vic betrachtete ihn. Die Lippe war geschwollen und auf dem linken Jochbein zeigte sich schon ein bläulicher Schatten. Er würde Eis brauchen …
„Du brauchst nicht da stehen zu bleiben. Ich verrate nichts.“ Er klang kalt und abweisend, der schöne Klang seiner Stimme war verschwunden.
„Ich warte nicht darauf, dass du was ausplauderst – darf ich mir deine Verletzungen ansehen?“
Er drehte den Kopf ein wenig und sah sie an. „Warum solltest du das tun?“
„Ich gehöre zwar zu den Animal Soldiers, aber deshalb muss ich noch lange nicht alles gut finden, was mein Boss anstellt“, versuchte sie sein Vertrauen zu erwecken.
Er nickte zaghaft. Vic trat näher und nahm die Nase und die verwundete Lippe in Augenschein. Ja, ein Eisbeutel wäre eine gute Idee …
„Du brauchst Eis und einen Waschlappen“, erklärte sie ihm.
„Da wäre ich nicht drauf gekommen!“ Purer Sarkasmus.
„Hast du sonst wo Schmerzen?“
„Nein“, sagte er knapp und drehte den Kopf wieder weg.
„Ich bin gleich wieder da.“
Er brummte etwas Unverständliches. Vic ließ ihn auf der Liege zurück, verschloss gewissenhaft die Tür und eilte die Treppe hinauf.

*

Sie verstand sich nicht. Warum ging ihr der Kerl nicht aus dem Kopf? Sie hatte schon einige Wilde eingefangen, aber noch keiner hat auch nur Ansatzweise ihr Interesse geweckt. Was auch immer es war, sie hielt an ihrem Entschluss fest, es mit Freundlichkeit zu versuchen. Und wenn sie erst sein Vertrauen gewonnen hatte, würde er ihr auch verraten, warum die Wilden wiederholt die Grenze zum Territorium überschritten.
Sie tappten über die Motive schon fiel zu lange im Dunklen. Nur die Nahrung konnte nicht der Grund sein. Angriffe gab es aber auch keine – nicht aufseiten der Wilden. Nicht offensichtlich. Die vielen Verhöre, all die Folter der Eingefangenen, hatten nichts gebracht.
Vic griff zwei mittelgroße Eisbeutel und ein Tuch. Anschließend griff sie nach einem Paket feuchter Einmalwaschlappen, die sie normalerweise zum Säubern von Wunden verwendeten. Bei den Animal Soldiers. Nicht bei den Gefangenen. Ihr war das jetzt egal. Der Zweck heiligte die Mittel, oder nicht?

Als sie die Zelle wieder betrat, stockte sie kurz. Sie brachte sich jedoch so schnell wieder unter Kontrolle, dass der Wilde nichts bemerkt hatte. Vic schloss die Tür, erst dann sah er sie an. Er saß auf der Liege, nur in Jeans. Sein Oberkörper war gut trainiert. Perfekt definierte Brustmuskeln, Schultern und Oberarme kräftig. Leopardenfell bedeckte seinen Bauch, angefangen unterhalb des Rippenbogens. Wo es endete, konnte sie nur vermuten – jedenfalls unter der Gürtellinie. Er hielt sich die Seite, also hatte er doch mehr Schmerzen, als zugegeben.
Moment. Vor lauter Betrachten hatte sie einen wichtigen Punkt übersehen. Die Fessel!
„Wo ist das Band?“, fragte sie.
Er griff neben sich und hob es hoch. Entzweigerissen.
Vic zog die Brauen nach oben. Langsam trat sie näher und überreichte ihm einen der Eisbeutel.
„Danke“, sagte er leise.
„Warum hast du dich hierher schleppen lassen, wenn dieses Band dich gar nicht fesseln kann?“
„Die Antwort willst du nicht hören. Glaub mir.“ Er legte sich das Eis auf die Wange.
„Oh doch, das will ich!“
Er verschob den Beutel, um seine Lippe zu kühlen. Dabei schienen seine Augen zu lachen.
„Spiel keine Spielchen. Ich mag zwar nicht so aussehen, aber wenn ich will, liegst du innerhalb Sekunden bewusstlos auf dem Boden.“
Er schnaubte. Dann ließ er die Hand mit dem Eis sinken.
„Man nennt mich Leo“, sagte er und hielt ihr die freie Hand hin.
Vic starrte entgeistert darauf. Sollte sie einschlagen? Das konnte doch nicht sein Ernst sein – eine Begrüßungsgeste war nun wirklich fehl am Platz.
„Das Eis“, meinte er daraufhin und klang amüsiert.
„Hier“, erwiderte sie und hielt ihm auch den zweiten Beutel hin. Wie hatte sie die Geste nur so missverstehen können?
„Also Leo. Warum bist du hier?“
Er legte sich den Beutel an die offensichtlich schmerzende Seite und verzog dabei das Gesicht.
„Wegen dir.“
Vic lachte laut auf. „Klar! Du kennst mich nicht und ich dich nicht. Was soll der Blödsinn?“
„Nenn es Blödsinn, wenn du willst …“ Der Blick aus seinen bernsteinfarbenen Augen ging ihr durch und durch. Was lief hier ab?
„Als du auf mir gesessen hast und ich dich angesehen habe, da war mir klar, dass du alles mit mir machen kannst und ich mich nicht wehren könnte.“
Vic verschränkte die Arme. „Sicher.“ Sie schüttelte den Kopf. Wollte er sie für dumm verkaufen?
„Du glaubst mir nicht. Ich sagte doch, du willst es nicht hören.“
„Fangen wir mal von vorne an: Warum hast du unser Gebiet betreten … oder besser, was wolltest du mit den Beeren?“
Keine Antwort. Leo schob demonstrativ den Eisbeutel wieder an die Lippe.
Vic hatte keine Lust auf Spielchen. „Ach, leck‘ mich doch!“, fluchte sie, warf die Packung mit den Waschlappen auf die Liege und wandte sich der Tür zu.
„Liebend gern“, erklang Leos Stimme in ihrem Rücken, deren Tonlage ihr einen Schauer über die Haut jagte. Sie verließ beinahe fluchtartig die Zelle.
Ihr Herz klopfte wild gegen ihre Rippen. Warum nur brachte sie dieser Mann so aus der Fassung? Sonst besaß sie eine Selbstbeherrschung, an der sich jeder die Zähne ausbiss. Leos rauchige Worte aber brachten ihr Herz zum Rasen und sorgten dafür, dass ihre Gedanken in eine Richtung abdrifteten, die ihr nicht behagte.
Fast schon bereute sie ihren Entschluss, doch feige aufgeben war noch nie ihr Ding, daher würde sie es diesmal auch nicht.
Ein Kurzbesuch der Küche reichte und Vic verließ diese mit einer Banane und einem Salatteller. Beides nahm sie mit nach draußen, wo sie sich auf die Wiese setzte und aß. Sie wollte jetzt noch nicht zu Silver aufs Zimmer. Zuerst musste sie ihren Kopf frei bekommen, all das sortieren, was sie verwirrte.
Ein Wilder!
Sie konnte es nicht fassen. Von allen Kerlen musste ausgerechnet er der sein, der etwas in ihr auslöste?

*

In der Nacht wälzte sie sich unruhig im Bett herum. Silver schlief wie ein Stein, worum Vic sie beneidete. Immer wenn sie die Augen schloss, hatte sie das Bild von diesem Leo vor Augen, wie er auf der Liege saß, sich die Seite hielt. Sein Fell, die schönen Augen, seine Stimme …
Vic fluchte innerlich und stand auf. Nur mit Hotpants und Tanktop bekleidet verließ sie das Zimmer. Zuerst lief sie nach draußen, nahm sich eine Zigarette aus der Schachtel, die immer dort lag und lief an der Hausfront unruhig auf und ab. Ob sie wollte oder nicht, es blieb nur eine Lösung für ihr Problem. Sie musste herausfinden was an diesem Mann so besonders war. Und, warum er und die anderen Wilden immer wieder einen Versuch wagten, das Gebiet unbemerkt zu betreten.
Vic drückte die zur Hälfte gerauchte Zigarette in den Standascher und machte sich auf den Weg nach unten. Die Zellentür besaß ein kleines Fenster und sie wollte sehen, was dieser Leo machte. Schlief er oder war er so rastlos wie sie?

Bei der Tür angekommen öffnete sie die kleine Luke so leise wie möglich. Sie wollte ihn nicht wecken, sollte er schlafen. Kaum dass sie hineinsehen konnte, stockte ihr der Atem. Leo lag auf der Liege, nackt. Im Mondlicht, das durch die schmalen Fenster hineinfiel, sah sie deutlich das Leopardenfell, das sich bis auf die Oberschenkel erstreckte. Einzig sein Geschlecht besaß kein Fell. Sie schluckte. Der nackte Schwanz lag wie gebettet da und sie fraget sich, wie das beachtliche Stück erst aussehen würde, wenn er steif wäre. Hitze schoss ihr in den Schoß, was sie abermals schlucken ließ. Wie lange hatte sie bewusst keinen Mann mehr begehrt? Es musste ewig her sein. Der wenige Sex, den sie hatte, beschränkte sich auf schnelle Quickies mit ihrem ‚Kollegen‘ Maik. Nur zum Abreagieren für sie beide. Nichts Ernstes, nicht mal eine echte Affaire.
Doch jetzt, wo sie Leo so da liegen sah, spürte sie deutlich ein Verlangen in sich aufsteigen, dass sie angesichts seiner Natur nicht haben dürfte. Mutierte Gene, zu viele tierische Merkmale – ein Fleischfresser, kein Vegetarier, so wie sie.
Sie kannte ihn nicht einmal! So etwas durfte sie nicht bei ihm empfinden. Mit zitternden Fingern griff sie nach der Luke, wollte sie schließen, da sah sie, wie seine Nasenflügel bebten. Als würde er eine Witterung aufnehmen …
„Ich weiß, dass du da bist“, raunte er plötzlich.
Vor Schreck entwich ihr ein kurzer Schrei. Sie fühlte sich ertappt, als hätte sie etwas Verbotenes getan. Schnell fing sie sich wieder und reckte trotzig das Kinn hoch.
„Ich werde doch noch nachsehen dürfen, ob mein Gefangener in Ordnung ist.“
Er setzte sich ruckartig auf und sah sie an. „So, so. Jetzt bin ich schon dein Gefangener. Schön zu hören.“
Vic verdrehte die Augen. So hatte das nicht rüberkommen sollen.
„Bilde dir nur nichts ein“, erwiderte sie.
Er lachte dezent. „Ich muss mir nichts einbilden. Ich weiß, dass dir gefällt, was du siehst.“
„Ach, der Herr denkt, er kann Gedanken lesen?“
„Nein. Ich rieche es.“
Wie dumm kann man sein! Vic hätte sich am liebsten selbst verflucht. Natürlich konnte er riechen, dass ihre kurze Hose nass im Schritt war. Was musste er auch so eine Wirkung auf sie haben und vor allem: Warum musste er nackt da liegen? Alles oder nichts, dachte sie sich.
„Es ist auch schwer zu bestreiten, dass du mit diesem Fell ziemlich heiß aussiehst. Aber das hilft dir nicht, die Zelle zu verlassen, ohne dass wir Antworten haben.“
„Es stimmt also.“
„Was stimmt?“
„Keiner von euch hier hat Fell oder andere äußere Merkmale.“
Gut kombiniert, das musste sie ihm lassen.
„Nein. Jeder von uns hat einen reinen Genetikstamm.“
Leo schnaubte. „Ach, und das macht euch zu was Besserem? Da irrst du dich Süße.“
Vic fiel die Kinnlade runter. Wie hatte er sie gerade genannt?
„Sei froh, dass ich hier draußen bin, sonst hätte ich dir dafür eine verpasst“, begehrte sie auf. Sie sollte gehen, aber schleunigst.
Leo stand auf und kam auf die Tür zu. Vic konnte ihren Blick nicht von ihm nehmen. Als er dicht davor stand, legte er eine Hand an die Öffnung.
„Wenn du hier drin wärst, würdest du ganz andere Sachen machen, statt mir eine runterzuhauen.“
„Oh, da ist aber jemand sehr von sich überzeugt!“, spottete sie.
Schneller, als sie reagieren konnte, lag plötzlich seine Hand auf ihrer. Warm, ein bisschen rau … dann fluteten Bilder ihren Kopf.
Sie keuchte auf, als sie vor ihrem geistigen Auge vorüberzogen. Sie, mit Leo in der Zelle. Sie lag auf der Liege, sein Kopf zwischen ihren Schenkeln. Ein neues. Ihr Kopf über seiner Hüfte, ihre Locken fielen auf sein Fell. Noch eines. Sie kniete auf der Liege und Leo nahm sie von hinten, seine Hände an ihrer Hüfte. Sie konnte sein Gesicht sehen, die Lust und das Feuer in seinen Augen.
Ihr entwich ungewollt ein Wimmern. Leo zog seine Hand weg, die Bilder verschwanden.
„Wenn du wieder kommst, werden wir genau das tun, daran habe ich keinen Zweifel.“ Der verheißungsvolle Klang seiner Stimme ließ sie erzittern. Sie hatte weiche Knie und verachtete ihren Körper dafür, dass er so auf ihn reagierte. Ihre Brüste spannten unter dem Top, zwischen ihren Schenkeln schien sich ein See bilden zu wollen.
Er drehte sich weg und schlenderte zurück zur Liege. Trotz des wenigen Lichts konnte sie einen sehr guten Blick auf seinen knackigen Hintern werfen.
Wie benommen schloss sie die Luke. Sie war nicht in der Lage, auch nur ein Wort zu erwidern. Dieser Mann war nicht gut für sie …


Selbstbeherrschung


Nach der nächtlichen Begegnung hatte Vic erst recht kein Auge mehr zugetan. Entsprechend gerädert war sie am nächsten Morgen. Immer wieder geisterte ihr die Szene an der Tür durch den Kopf. Es gab einige ‚Animalis‘, die durch eine Berührung Bilder oder Gedanken übertragen konnten, aber dass der Wilde, Leo, auch diese Fähigkeit besaß, erstaunte sie. Sein letztes Bild hatte zwar einen Fehler enthalten – er konnte ja nicht wissen, dass fast ihr gesamter Rücken tätowiert war – trotzdem wollte es ihr nicht aus dem Kopf gehen. Nun haderte Vic mit sich, ob sie dem Colonel davon erzählen sollte. Aber … dann müsste sie zugeben, dass sie in der Nacht nach dem Gefangenen gesehen hatte, grundlos. Sie müsste ihm sagen, was der ihr gezeigt hatte und das war unmöglich! Vic hielt sich weder für verklemmt noch für prüde, aber ihrem Vorgesetzten von den Fantasien des Gefangenen zu erzählen, die ihre eigenen widerspiegelten, nein.
Frustriert betrat sie das kleine Bad. Silver war vor ihr aufgestanden - Vic hatte so getan, als schliefe sie noch – und nun lag ein nasses Duschtuch auf dem Boden und die Badematte schwamm beinahe. Was stellte diese Frau nur immer im Bad an, dass hinterher alles triefte?
Mit dem Fuß schob sie alles Beiseite, legte ein Handtuch vor die Dusche und stieg aus ihren Sachen. Über die Schulter warf sie einen kurzen Blick in den Spiegel – der Puma auf ihrem Rücken, in Sprunghaltung, quer von der Hüfte bis zur Schulter – schien sie anzufunkeln. Das Bild war so gut gemacht, sie hatte schon oft den Eindruck gehabt, dass Tier würde sie tatsächlich ansehen.
Kopfschüttelnd betrat sie die Dusche und hoffte, dass der Tag keine bösen Überraschungen bereit hielt. Wenn ihre Schicht doch nur schon vorüber wäre …

Zwanzig Minuten später trat Vic in den Besprechungsraum. Silver und Amber saßen bereits am Tisch. Cat fehlte ebenso wie der Wolf. Dabei hatte Vic gedacht, sie wäre schon zu spät dran.
„Du siehst aus, als hättest du kein Auge zugetan“, sagte Amber ohne eine Begrüßung.
„Dir auch einen guten Morgen“, erwiderte Vic und setzte sich, ohne Ambers Worte zu kommentieren. Silver schenkte ihr einen fragenden Seitenblick, worauf sie nur mit einer abwehrenden Geste reagierte. Keine Fragen!
Die Tür öffnete sich und Cat trat herein. Ihre schlanke Gestalt war in eine hautenge Lederhose und ein weißes Herrenunterhemd verpackt. Sie grinste von einem Ohr bis zum anderen.
Doch ehe sie sich zu ihrer überaus guten Laune äußern konnte, betrat der Wolf den Raum. In seinem Schlepptau Dr. Kayne. Vic schwante Böses …
„Soldiers“, grüßte der Colonel und nickte ihnen kurz zu. Die Analystin aus dem Forschungszentrum, und Chefin desselben,  setzte sich zu ihnen an den Tisch, erst danach nahm der Wolf seinen Stuhl am Kopfende ein. Er räusperte sich.
„Dr. Kayne hat einige Neuigkeiten, die für unsere Arbeit vielleicht relevant sind“, begann er und forderte sie mit der Hand dazu auf, an seine Worte anzuknüpfen.
„Mit ihren Kollegen habe ich bereits gesprochen. Wir haben durch die jüngsten Testergebnisse Grund zur Annahme, dass die genetische Mutation der frei lebenden Animalis gar keine solche ist. Es scheint viel mehr eine natürliche Weiterentwicklung zu sein.“
Vic sah, dass der Wolf die Augen verdrehte. Sie selbst allerdings war ganz Ohr. Wenn das nicht eine interessante These war …
„Und das bedeutet?“, hakte Silver nach.
Die Analystin rutschte auf ihrem Stuhl herum, ihr war sichtlich unbehaglich zumute. Sie schielte kurz zum Colonel, und schien sich dann einen Ruck zu geben.
„Wir sollten sie nicht länger als unsere Feinde betrachten“, sagte sie schnell, als wäre es verboten, diese Ansicht zu äußern.
„Aber sie dringen hier ein, ohne dass wir je aus einem herausbekommen haben, warum sie das tun!“ Der Wolf bemühte sich, seine Fassung zu wahren. Vic sah es ihm deutlich an.
„Colonel, Ihre Ansicht in allen Ehren, aber Sie sollten auch die Wahrscheinlichkeit in Betracht ziehen, dass sie uns gar nichts tun wollen.“
Vic wurde hellhörig. „Wie meinen Sie das?“
„Mir wurde berichtet, dass der Wilde, der gestern gefangen wurde, Flokibeeren bei sich hatte. Das untermauert meine Theorie, dass die Wilden auch Artgenossen haben, die wie wir sind. Animalis, die kein Fleisch essen, sondern ihre Nährstoffe aus vegetarischen Lebensmitteln beziehen. Und soweit wir wissen, wächst außerhalb unsere Territoriums nicht viel, was nahrhaft genug …“
„Stop! Ich habe genug von den hanebüchenen Theorien. Dr. Kayne, Sie wissen, ich schätze Sie und Ihre Arbeit sowie die Ihrer Kollegen. Aber das geht zu weit. Wir werden an unserer Arbeitsweise erst dann etwas ändern, wenn Sie uns beweisbare Daten vorlegen können.“
„Warum sind Sie nur so stur?“, erwiderte sie und reckte stolz das Kinn vor. Wie es aussah, wollte sie vor dem Colonel nicht katzbuckeln.
„Bringen Sie eindeutige Belege vor, dann lasse ich mit mir reden. Und kommen Sie mir ja nicht noch einmal damit, dass sie bahnbrechende Ergebnisse hätten … es sind Mutanten!“

*

Vic befand sich auf ihrem Kontrollrundgang. Ihr wollten die Worte der Analystin nicht aus dem Kopf. Wenn es wahr wäre, die Wilden nur eine natürliche Entwicklung durchgemacht hätten und manche von ihnen auf ihre Früchte angewiesen waren … es wäre wohl das aus für das Territorium. Das Ende des behüteten Lebens aller, die hier beschützt in einer großen Gemeinschaft lebten. Vic war in das System hineingeboren worden. In die Fußstapfen ihres Vaters zu treten war schon früh ihr Wunsch, den sie schließlich auch wahr gemacht hatte. In Viererteams waren sie unterwegs, alle in einem ihnen zugeteilten Grenzstück. Sie schützten die fast zehntausend Animalis, die auf dem riesigen Areal eine neue Stadt aufgezogen hatten, nachdem die Genexperimente aus dem Ruder gelaufen waren und die Welt in ihren Strukturen geändert hatten.
Während sie die unsichtbare Grenze abschritt und die Lasersensoren auf ihre Funktion prüfte, dachte sie an Leo. Hatte er die Beeren vielleicht für ein Mitglied seiner Gruppe haben wollen? Oder gar für sich selbst? Was war mit all den anderen, die versuchten unerkannt einzudringen? Die meisten flohen, sobald sie die Soldier zu Gesicht bekamen. Viele waren schon gefangen genommen worden. Wenn die Theorie der Ärzte stimmte …
Alles grübeln half nichts. Sie nahm sich vor, nach Dienstende Leo auf den Zahn zu fühlen – und dabei all ihre Beherrschung einpacken, die sie besaß. Seine Bilder würden nicht wahr werden! Das schwor sie sich und ihrem inneren Puma.

*

Kurz nach Einbruch der Dämmerung legte Vic ihre Waffen in den dafür vorgesehen Schrank. Sie wollte nicht angriffslustig wirken, wenn sie hinunterging um Leo auszufragen. Hoffentlich gab er ihr die Antworten, die sie hören wollte.
Ihre Arbeitskleidung, bestehend aus Cargohose und T-Shirt, ließ sie an – auch oder gerade weil sie schmutzig waren. Die Sachen kaschierten ihre Figur und sie war zuversichtlich, dass Leo gar nicht in Versuchung käme sie anzugraben.
Trotzdem rumorte es in ihrem Bauch, als sie die Treppe hinunter lief. Ihre Instinkte waren hellwach und kaum dass sie den Flur im Zellentrakt betrat, stieg die Anspannung in ihr. Als würden ihre Nervenenden elektrisch stimuliert, prickelte es auf ihrer Haut und in ihrem Inneren. Sie hatte Leo noch nicht mal erreicht und schon stand ihr Körper unter Hochspannung. Sie verfluchte sich für ihre Idee, ihn nochmals zu befragen.
Zähne zusammenbeißen, lächeln, absolute Selbstbeherrschung aktivieren!
Vic entriegelte die Tür und hatte sich wieder unter Kontrolle. Zumindest äußerlich. Sie betrat den Raum und blickte Leo entgegen, als wäre nichts gewesen. Er hockte im Schneidersitz auf dem Boden, eine Wasserflasche stand neben ihm. Seine Augen funkelten, als er sie ansah.
„Wusste ich doch, dass du wiederkommst …“
„Du musst mir ein paar Fragen beantworten, nur darum bin ich hier.“
Er verzog das Gesicht, als habe sie ihn geschlagen.
„Es ist wichtig und ich habe den Verdacht, dass sich vieles ändern könnte. Also – kommt ihr her, weil ihr Animalis in euren Gruppen habt, die kein Fleisch vertragen?“
Er verengte die Augen, musterte sie kritisch.
„Warum sollte ich dir etwas über unsere Beweggründe verraten?“
Vic verkniff sich ein Schnauben und hockte sich hin, damit sie mit ihm auf Augenhöhe war.
„Weil unsere … Forscher eine Theorie aufgestellt haben, die besagt, dass ihr nicht eine mutierte Variante von uns seid, sondern eine natürliche Weiterentwicklung.“ Die Erklärung kam ihr ohne schlechtes Gewissen über die Lippen. Sie musste Pokern. Alles oder nichts. Und wenn sie ihm etwas verriet, machte er vielleicht auch den Mund auf.
Leo legte den Kopf schräg und schürzte die Lippen, als würde er überlegen. Das Glitzern in seinen Augen verriet, dass er spielen wollte. Vic konnte schon immer gut den Ausdruck bei anderen deuten.
„So, denken sie das? Klingt interessant, eure These.“
„Stimmt sie oder nicht?“
„Warum bleibst du nicht hier drin und versuchst es herauszufinden?“ Er grinste neckisch.
„Und dann sehe ich etwas, das ich noch nicht gesehen habe? Das ist wohl kaum möglich“, entgegnete sie locker. Innerlich war sie alles andere als das. Ihr Herz klopfte wie verrückt und sie musste sich davon abhalten, diesen verlockenden Mund vor ihren Augen zu küssen. Sein männlicher Duft machte sie zusätzlich verrückt. Vic verfluchte ihre tierischen Eigenschaften nur äußerst selten, in diesem Moment tat sie es.
„Oh doch. Was glaubst du, bringen sie mir hier zu essen?“
„Obst, Gemüse, Salat?“
Er nickte bedächtig. „Es ist widerlich!“, entgegnete er und grinste so breit, dass sie seine Zähne sehen konnte. Er besaß spitze Eckzähne wie ein Raubtier!
Vic konnte nicht leugnen, dass sie das anmachte. Sie spielte hier mit einem Feuer, das sie nicht mehr unter Kontrolle bringen könnte, wäre es einmal richtig entfacht.
„Tut mir Leid, aber Fleisch kann ich dir keins besorgen.“
Oh! Sein Gesicht verriet, dass sie die falsche Wortwahl getroffen hatte.
„Ich kann es aber dir besorgen“, entgegnete er mit rauer Stimme. Dieses Timbre ging ihr erneut durch und durch. Seine Nasenflügel blähten sich auf und er verzog den Mund zu einem siegessicheren Lächeln.
„Wisch dir das Grinsen aus dem Gesicht“ forderte sie streng.
Er lachte nur.
„Wenn du mir nichts weiter zu sagen hast, kann ich ja auch gehen.“ Vic stand auf und schlug sich gedanklich auf die Schulter, weil ihre Knie kein bisschen zitterten. Kaum hatte sie sich aufgerichtet, sprang Leo mit einem Satz in die Höhe. Er funkelte sie an. Sein Blick glich dem eines Raubtieres auf Beutejagd und sie erschauderte.
Ihr blieb überhaupt keine Zeit zu realisieren, was folgte. Innerhalb eines Blinzelns stand er nah vor ihr, hatte ihr Gesicht umfasst und ihr seine Lippen auf den Mund gedrückt. Vic glaubte, flüssiges Feuer flöße durch ihren Körper und versetze ihren Schoß in Brand. Und das nur, weil er sie küsste?!
Sie fühlte die Wärme seines Körpers und sog gierig seinen Duft ein. Als er seine Zunge in ihren Mund drängte und auf ihre traf, schoss ein elektrischer Impuls bis in ihren Schoß. Sie spürte, dass sich Nässe in ihrem Schritt sammelte und sie konnte ein Keuchen nicht unterdrücken. Leos Küsse schmeckten so gut.
Seine Hände gingen auf Wanderschaft, von ihrem Gesicht über die Schultern bis zu ihrem Rücken. Fordernd drückte er sie an sich, während ihr Zungenspiel immer intensiver wurde. Vic ertastete sogar die spitzen Eckzähne, was ihre Lust noch weiter anfachte.
Es war zu spät. Sie hatte verloren und war ihm erlegen. Sollte es ihr etwas ausmachen? Nein, entschied sie mit dem Rest ihres Verstandes, der noch arbeitete. Was sich so gut anfühlte, konnte nicht falsch sein.
Als hätte er gespürt, dass sie sich ergab, löste er sich abrupt von ihr. Schwer atmend sah sie ihn an. Vic konnte sein Verlangen so deutlich sehen, wie sie ihr eigenes spürte. Warum hörte er auf? Hatte er nur beweisen wollen, dass er sie bekommen könnte, so wie er es mit den Bildern vorhergesagt hatte? Vic schluckte. Plötzlich kam sie sich unglaublich dumm vor.
Da er nur dastand und sie ansah, ohne jegliche Regung, wallte Wut in ihr auf.
„Hast du nun, was du wolltest? Musstest du dir selbst beweisen, dass du immer bekommst, was du willst?“, fuhr sie ihn an.
Ein leichtes Lächeln bildete sich um seine Lippen. „Ich habe noch gar nicht, was ich will. Ich muss mich nur abkühlen, um noch einen klaren Gedanken fassen zu können.“
Vic schnaubte.
„Ich möchte dir etwas erklären Vic. Ich bin kein Untier. Aber ich war vielleicht ein bisschen zu bedrängend, denn du machst mich wahnsinnig, seit ich dich das erste Mal gesehen habe.“
Sie zog nur fragend die Braue nach oben und erwiderte nichts. Wenn er schon mal was von sich aus sagte, unterbrach sie ihn lieber nicht.
„Es ist Monate her und ich brauchte einen Plan, um in deine Nähe kommen zu können.“
„Was?“, entfuhr es ihr dann doch.
„Ihr hier drin, in eurem behüteten Nest, habt gar keine Ahnung von dem Leben da draußen. Und ich wusste, wenn ich die Grenze überschreite, werde ich festgenommen. Daher habe ich abgewartet, bis du Dienst hattest – ich habe eure Einsatzpläne im Kopf – und wartete darauf, dass du kommst und mich schnappst.“
„Das kann nicht dein Ernst sein. Das klingt so an den Haaren herbeigezogen …“
„Deshalb ist es nicht weniger wahr. Meine Fixierung auf dich“, begann er und kam wieder näher, „ist jedoch nicht der einzige Grund, warum ich hier bin.“
„Sag‘s mir“, forderte sie leise und legte eine Hand auf seine breite Brust.
„Deine Theorie ist nicht ganz falsch. Es gibt welche da draußen, die eure Früchte wollen. Aber nicht, weil sie die brauchen würden. Sie sind Luxusgüter, mit denen gehandelt wird.“
„Was ist daran schlimm?“
„Das ganze System. Die Diebe sind wie Sklaven; die Händler zwingen sie zum Stehlen und bedrohen ihre Rudel. Wer zu wenig mitbringt, wird misshandelt. Auf unterschiedlichste Weise …“
Vic fiel das Mädchen ein, das hatte fliehen können. Eine Halbstarke – sie wollte sich gar nicht vorstellen, was dem Mädchen angetan wurde, weil sie mit leeren Händen zurückkam.
„Und was genau willst du dann hier dagegen ausrichten?“ Vic verstand es nicht.
„Ich bin Leonard der zweite. Ich stehe als Anführer an der Spitze einer großen Gruppe, vergleichbar mit einem Staat der vergangenen Menschenwelt. Meine Leute leiden unter den Zuständen und ich kann das nicht länger hinnehmen. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder ihr helft mir mit Setzlingen, sodass wir selbst diese Pflanzen anbauen können oder ihr schirmt euch mit richtigen Zäunen und Mauern ab, die rund um die Uhr bewacht werden müssen.“
Vic schwirrte der Kopf. Sie hatte ja alles Mögliche erwartet, aber nicht so etwas. Und gelogen hatte er nicht, das hätte sie gerochen. Viel nachdenken über das, was sie gerade erfahren hatte, konnte sie nicht, denn Leo beugte sich zu ihr herunter und eroberte von Neuem ihren Mund. Die verdrängte Lust flammte wieder auf.
Leos Hände wanderten über ihren Körper, umrundeten ihre Brüste, glitten über den Bauch bis nach hinten auf ihren Po, den er drückte und sie gegen ihn dirigierte. Vic kam ihm entgegen, zuckte leicht zusammen, als ihre empfindlichen Brustspitzen vom Stoff gereizt wurden. Die leichte Reibung schickte lustvolle Schauer durch ihren Körper und sie konnte es kaum erwarten, mit den Fingern über sein Fell zu streichen. Wie es sich wohl anfühlen würde?
Noch ehe sie dazu kam, es herauszufinden, löste sich Leo wieder von ihr. Er sprang regelrecht von ihr weg.
„Da kommt jemand!“, warnte er leise.
Vic schluckte krampfhaft, versuchte sich unter Kontrolle zu bringen, doch es gelang ihr nicht wirklich. Sie hatte vollkommen verdrängt, wo sie sich hier befanden! Sie lauschte, hörte schwere Schritte, die sich über die Treppe näherten.
„Kein Wort zu irgendjemand – noch nicht. Bitte“, sagte er leise und Vic nickte. Dann schaltete sie in den Soldier Modus, denn sie ahnte, wer da auf dem Weg zu ihnen war.
„Es wird Zeit, dass du was sagst, sonst fahren wir hier andere Geschütze auf!“, drohte sie und klang sogar echt, zumindest in ihren Ohren.
Leo zwinkerte ihr zu und stellte sich mit leicht ausgestellten Beinen hin, die Hände vor dem Schritt verschränkt. Sie hoffte, dass ihrer beider Erregung nicht so stark war, dass man sie sofort roch. Kaum dass sie den Gedanken zu Ende gebracht hatte, stieß der Wolf die Tür auf.
„Noch immer im Dienst, sehr vorbildlich Vic“, lobte er. „Was rausgefunden?“
„Nein, leider. Kein Ton.“ Es wunderte sie, wie leicht es ihr fiel, dem Colonel diese fette Lüge ins Gesicht zu sagen.
„Immer das gleiche mit diesen Mutanten!“, murrte er. Dann stockte er. „Warum trägt er kein Band?“
„Ich habe es abgenommen. Doch der Bestechungsversuch mit etwas Freundlichkeit hat auch nicht funktioniert“, improvisierte Vic. Ihr langes Training machte sich bezahlt. Sie hatte sich perfekt unter Kontrolle – der einzige, bei der ihr das nicht gelang, war Leo!
„Ein neues anlegen. Kein Essen mehr. Und morgen früh will ich ihn in Raum 4 haben. Acht Uhr. Sorg dafür, dass er da ist“, ordnete der Colonel an.
„Er wird da sein“, sagte sie und zog demonstrativ eines der Bänder aus ihrer Beintasche. Als habe sie einen sechsten Sinn besessen, hatte sie dort eins hinein geschoben. Alle anderen Waffen hatte sie abgelegt, sogar alle Bänder aus der hinteren Hosentasche, wo sie sonst untergebracht waren.
Der Wolf nickte ihr zu und verließ den Raum, sah jedoch noch einmal zurück, ehe er ganz durch die Tür war. Vic hatte das geahnt, sie war schon zu Leo getreten und hatte ihm das Band um die Handgelenke gelegt.
Sie lauschte den Schritten des Colonels und als sie sicher war, dass er die Treppe hinter sich gelassen hatte, nahm sie das Band wieder ab.
„Um nochmal auf das Wesentliche zurückzukommen. Wie hast du dir das vorgestellt? Ich kann nicht einfach fordern, dass man euch Setzlinge aushändigt, auch kann ich nicht den Vorschlag machen, die Grenze zu befestigen.“
Vic sah ihn fragend an. Leo wirkte nachdenklich. Es schien, als wäre nicht nur ihre Lust durch den unerwünschten Besuch des Wolfes abgekühlt.
„Ich weiß es nicht. Meine Grundidee basiert auf dem, was wir von außen betrachten können. Eure internen Abläufe kenne ich nicht. Ein Teil meiner Familie war sogar dagegen, dass ich mich hier fangen lasse, doch das konnten sie mir nicht ausreden. Gibt es niemanden mit hohem Rang, dem du die Möglichkeiten als deine Idee unterjubeln kannst? Vielleicht nebenher, in einem belanglosen Gespräch?“
Vic schnaubte. Außer mit dem Colonel hatte sie kaum etwas mit Ranghöheren zu tun. Und das auch nur sehr oberflächlich. Wem sollte sie beiläufig diese Vorschläge unterbreiten? Es wollte ihr niemand einfallen, daher schüttelte sie den Kopf.
Leo atmete tief durch und schlenderte zur Liege.
„Vielleicht fällt dir noch jemand ein. Ich warte dann auf dich – ich kann ja hier eh nicht weg“, witzelte er. „Bis Mogen.“
Er ließ sich auf die Liege fallen und legte sich einen Unterarm über die Augen. Vic wurde das Gefühl nicht los, als wenn er enttäuscht wäre.
„Ja, bis Morgen“, erwiderte sie leise und verließ die Zelle. Es war ja nicht so, als würde sie ihm nicht helfen wollen … aber dafür musste ihr erst Mal einfallen, wie!


Vielleicht hat es euch bis hier her gefallen - mehr in Arbeit ;-)
Anmerkung: Vertipper bitte ignorieren, das ist die erste Fassung ohne Korrektur ...

Schönes Wochenende euch!
Sophie